Spinnen füttern
winkt, erlaube mir, dich zu begleiten und dir von den Tanz-Shakern zu erzählen, die mich nach dem Tod meiner Mutter adoptieren wollten. Die Männer dieser Sekte hatten geschworen, keine Kinder zu zeugen, weil sie keine weiteren Seelen in diese niederträchtige Welt bringen wollten. Und so bestand die gesamte Gemeinde aus Waisenkindern, und diese Kinder wuchsen auf und wurden Tänzer und Heilige. Sie waren Christen, aber auf ihrem langen Weg müssen sie mit östlichen Lehren in Berührung gekommen sein … mit Dionysiern, Buddhisten, Zoroastern, Sufis, was weiß ich. In ihrem tiefsten Inneren, vermute ich, glaubten sie, dass die Welt von einem niederen Gott beherrscht wird und dass unsere Körper unserer Seelen nicht würdig sind, weshalb das Licht, das wir in uns tragen, an einem Ort zum Leuchten kommt, der mit dem Schweinestall, in dem wir leben, nichts zu tun hat. Egal, einige dieser Shaker wurden Tanz-Shaker genannt, weil sie ständig tanzten.
Wenn der Zirkus in eine kleine Stadt einzog, wurde immer eine Parade veranstaltet, und auch die Shaker wurden eingeladen. Die offizielle Kirche nämlich verurteilte den Zirkus als sündhaft, dekadent und des Teufels, also hoffte der Zirkusdirektor, seiner Organisation durch die Shaker einen Anschein von Legitimität zu geben.
Eines Tages, als wieder die Zigeuner spielten und wir um das große Lagerfeuer tanzten, kam ein Shaker zu mir, er trug einen langen Mantel. Er fasste meine kleine Hand, ich flog von einem Tänzer zum nächsten, und als die Musik vorbei war, flüsterte mir der Mann ins Ohr: Komm mit, Kind, dann wirst du gerettet werden. Ich bekam es mit der Angst zu tun und rannte fort und versteckte mich zwischen den Affen und den Hunden, bis die Bärtige Dame kam und sagte: Niemand wird dich mitnehmen, du bleibst bei uns. Lang saßen wir da, weinend, wir streichelten die Hunde und wiegten das Babyäffchen in unseren Armen.
Und was ist aus diesen Shakern geworden?, fragte Zainab.
Schön, dass du mir jetzt zuhörst. Ich wusste nicht, dass du eine Schwäche für Tänzer hast, Zainab. Um deine Frage zu beantworten: Sie sind ausgelöscht! Verschwunden! Die Regierung änderte einige Verordnungen, die Shaker durften niemanden mehr adoptieren. Die Gemeinde wurde immer kleiner, bis sich ihr ursprünglicher Wunsch erfüllte. In der niederträchtigen Welt dreht sich alles um die Fortpflanzung, wie du weißt. Ein Volk, dem es nicht gelingt, sich zu reproduzieren, stirbt aus.
Ich würde dir gern ein Buch zu diesem Thema geben, fuhr ich fort, vielleicht hilft es dir für deine Doktorarbeit. Es schadet nicht, all diese religiösen Überzeugungen von derselben wahnhaften Quelle abzuleiten, einer Urangst der Männer, der ersten Enttäuschung … Ich weiß schon, eine reine, erleuchtete Person wie du wird zögern, in meine obskure Gedankenwelt einzutreten.
Ich muss jetzt los, Fly.
Warte, ich will dich begleiten und dir von einem weiteren Zweig dieser häretischen, ausgestorbenen Christen erzählen. Sie könnten dich interessieren. Sie hießen Katarer, in gewissen Kreisen sprach man allerdings von Arschfickern … es hieß nämlich, dass sie jede Form des Vaginalverkehrs verweigerten. Sie beschränkten sich auf Analsex, es war ihre alternative Verhütungsmethode und ihre Art, den heiligen Körper zu verlästern. Auf diese Weise stellten sie sicher, dass keine weiteren Seelen in unsere verlogene und entwürdigende Welt treten würden. Vermutlich feierten sie laute, fabelhafte Orgien. Alle Religionen verlästern unsere Anatomie, siehst du das nicht?
Nicht alle. Der Islam hat mit dem Körperlichen kein Problem. Ganz im Gegenteil: Der Körper wird geehrt, geliebt und rein gehalten.
Und versteckt, fügte ich hinzu.
Fly, ich weiß, worauf du hinauswillst. Vielleicht nehmen wir deine Andeutung zum Anlass, einen Schleier über dieses Gespräch zu werfen …
Es reicht, Fly, unterbrach Zainab sich, hör auf. Ich muss jetzt wirklich los. Ich will nicht auch noch den nächsten Zug verpassen. Geh rauf und leg dich schlafen, du musst müde sein, du bist doch die ganze Nacht gefahren. Ruh dich wenigstens aus. Dein Geist ist rastlos, du wirkst, wenn ich das sagen darf, ein wenig wahnhaft.
Damit ließ Zainab mich stehen und eilte zum Bahnhof, ich sah ihr lange nach. Ihr Haar war nass, eine Tasche hing an ihrer Schulter.
Spiegel
Als ich mich gerade hinlegen wollte, rief Mary an und sagte, sie sei dabei, ihren Mann zu verlassen, ob ich sie abholen könne. Ich zog mich wieder an, ging
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