Spinnenfalle
unter einer Bedingung am Leben …« Sie hob den Zeigefinger.
»Du musst uns alles, alles ganz haarklein erzählen.«
»Alles ja«, sagte ich. »Aber nicht alles alles.«
Total beschwingt ging ich nach der Pause zurück in unseren Klassenraum.
So muss sich ein Schwips anfühlen, dachte ich. Kann man mal sehen: Dazu braucht es gar keinen Alkohol!
Die neugierig-neidischen Blicke meiner besten Freundinnen ignorierte ich einfach.
Er hatte mich gefragt - mich. Und nicht Laura und nicht Martha.
Diese Kröte mussten sie nun leider schlucken.
Ich fand es gut, dass wir uns bei Marlon verabredet hatten, denn es war mir lieber, wenn meine Familie nicht mitkriegte, dass ich dem schönsten Knaben unserer Schule Deutsch-Nachhilfestunden gab.
Auf das blöde Grinsen und die bescheuerten Anspielungen - besonders von Daniel -, die das zur Folge gehabt hätte, hatte ich keine Lust.
Ich wartete, bis Ljuba mit den Zwillingen weggegangen war, und machte mich dann auf den Weg.
Ilsestraße 14 war ein Reihenhaus älteren Datums, wahrscheinlich wie unseres zu Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut. Ich ging die kleine Treppe zur Haustür hoch und klingelte.
Nichts.
Mir sackte das Herz in die Schuhe. Langsam zählte ich bis zehn, wie Mama uns das beigebracht hatte, damit wir uns nicht zu drängelig aufführten. Dann klingelte ich noch einmal.
Nichts.
Sollte ich noch mal …
Nein. Ich hatte auch meinen Stolz.
Dann eben nicht. Ich drehte mich um und ging total enttäuscht und verunsichert die Treppe wieder runter. Unten öffnete sich die Souterraintür und da stand Marlon.
»Oh, tut mir leid, ich hab vergessen, dir zu sagen, dass du besser unten klingeln sollst …«, sagte er und lächelte mich an und alle Enttäuschung war im Nu verpufft.
»Wohnst du auch im Untergrund?«, fragte ich, während ich ihm ins Haus folgte.
»Wieso ›auch‹?«
»Weil ich auch eine Kellerassel bin.«
Wir lachten und auf einmal war ich auch gar nicht mehr verlegen.
Sein Zimmer sah natürlich ganz anders aus als meins, und auch nicht so wie Daniels. Neugierig sah ich mich um. Eine Wand war ganz mit Werder -Plakaten vollgepinnt - aha, noch ein bekennender Werder -Fan.
Rechts und links neben seinem - äh - Bett standen riesige Boxen, also ein Musikfan. Im Regal massenhaft CDs, aber nur wenige Bücher.
Hm. Ein Lesemuffel.
Tja. Man kann nicht alles haben.
Und keine DVD. Keine einzige. Wahrscheinlich kannte er noch nicht mal die Namen von Katherine Hepburn oder Gary Cooper.
Er bot mir einen Platz auf seinem ordentlich von einer bunten Tagesdecke verhüllten Bett an und setzte sich davor auf den Fußboden.
»Na, gefällt es dir?«, fragte er.
»Was?«
»Das Bett.« Er grinste provozierend.
»Ich finde die Decke sehr schön.« So leicht ließ ich mich nicht einschüchtern.
»Das ist ein Ikat-Muster«, dozierte er. »Das ist eine Färbetechnik auf Bali.«
»Warst du schon mal dort?«
»Nein, leider nicht. Nur meine Eltern. Die Decke haben sie mitgebracht und irgendwann ist sie bei mir gelandet.«
»Hübsch.« Ich strich mit der Hand drüber. »Das ist ja Seide.«
»Klar, und zwar reine.« Er grinste. »Setz dich doch da drauf, ich hab ja nicht viel an Sitzgelegenheiten zu bieten.« Während ich mich setzte, beugte er sich vor. »Fangen wir an?«
»Und wie willst du dir Notizen machen?«, fragte ich.
Er grinste, zeigte auf ein Minitonbandgerät und drückte auf Start.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Den Test musst du schreiben und nicht sprechen. Außerdem kann ich dann sehen, was du geschrieben hast.«
Er verzog den Mund. »Mann, bist du streng«, maulte er.
»Frau«, korrigierte ich knapp.
»Frau, bist du streng«, wiederholte er und lachte.
Sein Lachen war ansteckend und ich lachte mit.
Aber dann rief ich mich zur Ordnung. »Hör mal, wenn du wirklich was lernen willst, dann geb ich die Gangart an, okay? Wenn ich alles und jedes erst mühsam durchsetzen muss, nervt das total.«
Er nickte. »Gut.«
Dann stand er auf und holte sich ein Heft und einen Kuli.
Ich legte die Fotokopie des Kurzkrimis, die ich mitgebracht hatte, vor ihn auf die Erde.
»Das ist aber nicht der, den wir im Unterricht durchgenommen haben«, protestierte er. »Das war doch Der Hund von Baskerville .«
Ich verdrehte die Augen. »Geht das schon wieder los? Ich will dir doch das Prinzip beibringen und das kann
man an fast jedem Text. Lies dir den hier also erst mal durch und dann interpretieren wir ihn.«
Während er Conan Doyles Skandal in Böhmen
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