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Spinnenfalle

Titel: Spinnenfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schindler
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las, sah ich mich unauffällig weiter in seinem Zimmer um.
    Erleichtert registrierte ich, dass nichts auf eine Freundin hinwies, wie etwa ein neckisches Kissen oder ein Foto oder eine baumelnde Halskette an einem Haken oder so. Ich gab mir auch alle Mühe, Marlon nicht dauernd anzustarren - aber so aus der Nähe war er einfach zum Dahinschmelzen. Immer wenn ihm was nicht sofort aufging, schüttelte er seine langen schwarzen Haare und grummelte in sich rein.
    Es war nicht nur zum Dahinschmelzen, es war einfach unglaublich. Ich zwickte mich unauffällig in den Arm und war erleichtert, als es wehtat.
    Ich träumte also nicht.
    Geduldig wartete ich, bis er aufseufzend die Blätter hinlegte. »Okay, und jetzt?«
    Ich hatte mich gut vorbereitet und erklärte ihm das mit der »Deduktion«, die Conan Doyle seinem Sherlock angedichtet hat: wie der berühmte Detektiv aus dem Allgemeinen das Besondere ableitet und die Detailinformationen miteinander verknüpft.
    »Verknüpft?« Marlon sah mich ratsuchend an.
    »Verbindet.«
    »Ach so.«
    »Sieh mal, in jeder Interpretation einer seiner Geschichten muss man dieses Prinzip erkennen, weil das erklärt, wie der Superdetektiv gestrickt war, wie er gearbeitet hat. Das ist das Besondere an der Art, wie er seine Fälle löst, und deshalb gehört es unbedingt in eine Interpretation rein.«
    »Hm.«
    Alles in allem wurden es zwei ziemlich produktive
Nachhilfestunden, was wohl einerseits an mir, aber ganz klar auch an Marlon lag.
    Schließlich legte er Heft und Kuli beiseite und holte tief Luft.
    »Okay, ich hab so einiges begriffen. Jetzt hab ich keinen Schiss mehr vor dem Test.«
    Ach, dachte ich enttäuscht, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen?
    Aber da fuhr er fort: »Du, könnten wir das jetzt alles auch noch mal mit dem Hund von Baskerville machen?«
    Ich atmete innerlich auf.
    Fortsetzung folgt!, jubelte ich innerlich.
    Aber nach außen hin zuckte ich nur lässig mit den Schultern. »Von mir aus. Wann denn?«
    »Morgen?«
    Ich versuchte mit aller Kraft, mir meinen inneren Jubel nicht anmerken zu lassen.
    »Könnte klappen«, sagte ich und sammelte meine Blätter wieder ein.
    »Du musst doch noch nicht gehen?«, fragte er. »Mann, was bin ich für ein mieser Gastgeber. Willst du lieber Tee oder Cola?«
    »Tee«, sagte ich.
    Es ging also nicht NUR um Nachhilfe!
    Er sprang auf, rannte aus dem Zimmer und kam kurz darauf mit einem Tablett zurück.
    »Hab ich ganz vergessen, tut mir leid. Ich krieg eben selten Besuch.« Er lächelte und schlug seine unverschämt langen schwarzen Wimpern nieder. »Und schon gar keinen weiblichen.«
    Täterätä!, trompetete es triumphierend in meinem Kopf. Das waren ja höchst willkommene Informationen.

    Beim Abendbrot sagte meine Mutter plötzlich: »Ist was, Alex? Du bist ja so still?«
    Ich merkte, dass ich einen roten Kopf bekam, und weil ich mich darüber ärgerte, wurde er gleich noch röter.
    »Ach, ich hab nur an den Deutschtest nächsten Freitag gedacht«, sagte ich. Und das war nicht mal gelogen.

10
    M arlon und ich sahen uns in dieser Woche fast an jedem Nachmittag.
    Aber auch nachdem der Test geschrieben war (Inhaltsangabe, Spannungsverlauf, Personenbeschreibung, Erläuterung des Holmes’schen Lieblingsbegriffs »Deduktion«), wollte Marlon an unseren Treffen festhalten.
    Na, und ich sowieso.
    Bei unserer nächsten Verabredung sagte er: »Meine Mutter möchte dich gern kennenlernen.«
    »Ach, und dein Vater nicht?«
    Er winkte ab. »Der ist doch nur alle paar Wochen hier. Momentan kann ich nur mit meiner Mutter dienen.«
    Ich folgte ihm zögernd die Kellertreppe hoch. Alles war wie in unserem Haus, nur seitenverkehrt. Was wollte seine Mutter von mir? War sie nett? Wollte sie vielleicht nicht, dass ihr Sohn sich regelmäßig mit einem Mädchen traf?
    Mit etwas Herzklopfen folgte ich ihm ins Wohnzimmer, das - anders als bei uns - total modern möbliert war.
    Alle Möbel waren weiß und streng rechteckig - im ganzen Raum gab es nichts Rundes -, außer den Stereoboxen mit ihren runden Lautsprechern.
    Ein schneeweißes Bücherregal war bis auf den letzten Millimeter mit bunten Buchrücken vollgestellt, und an den Wänden hingen seltsam abstrakte Bilder - neben den Büchern die einzigen Farbflecke. (Es gab in diesem Haus
also doch Leser!) Die Frau, die auf dem schneeweißen Sofa saß, wirkte inmitten dieser Schneelandschaft wie ein bunter Ball. Sie war winzig und trug einen knallrosa Pulli zu einem knallblauen Rock - und

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