Spion der Liebe
unwillkommen.«
»Selbstverständlich hält sie mich für deine Mätresse.«
»Aber sie wird ihre Vermutung nicht aussprechen«, erwiderte er und drückte Serena mit sanfter Gewalt in einen Sessel.
»Ich hoffe nur, ich habe diese Tortur bald überstanden«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Dann erklär ihr, welchen Stil du bevorzugst«, schlug er seelenruhig vor, sank ihr gegenüber in einen Lehnstuhl und lehnte sich bequem zurück. »Wenn ich Mrs. Moore darum bitte, ist dein Kleid heute abend sicher fertig. Trink ein Glas ginja, das wird dich entspannen.«
»Ich will mich nicht entspannen! Und diese Person soll nicht durch mich hindurchschauen, als wäre ich die tausendste Frau, die du hierhergebracht hast.«
»Habe ich dem Fahrer eigentlich befohlen, auf uns zu warten?« Beau erhob sich so abrupt, daß Serena zusammenzuckte.
»Ja, natürlich«, entgegnete sie verwirrt.
»Ich werde mich lieber vergewissern.« Mit eiligen Schritten ging er hinaus.
Allein gelassen, schaute sie sich in dem verschwenderisch ausgestatteten Zimmer um, betrachtete die Modezeichnungen an den Wänden und fand ihre fadenscheinige Garderobe armseliger denn je. Sie versteckte ihre abgetragenen Schuhe unter dem Rocksaum, dann schloß sie ihre Pelisse, um den antiquierten Stil ihres braunen Wollkleids zu verbergen. In diesem Augenblick kam sie sich wie eine graue Maus vor. Ein ganz neues Gefühl, nachdem ihre einzige Sorge während der letzten vier Jahre dem nackten Überleben gegolten hatte …
Vor dem Tod ihres Vaters waren schöne Kleider selbstverständlich gewesen. Stets hatte er sie mit seiner Liebe überschüttet, eifrig bestrebt, ihr ein angenehmes Leben zu bieten. Um so schmerzlicher war ihr die Einsamkeit nach dem schweren Verlust erschienen. Vielleicht verdiente sie nach all den Entbehrungen ein neues Kleid, und Beau verstand besser als sie selbst, welche Freude man empfand, wenn man zufrieden in den Spiegel blickte.
Ja, beschloß sie, ich werde mir was Hübsches kaufen. Das konnte sie sich leisten, nachdem sie dem Earl fünfhundert Pfund abgewonnen hatte. Sie griff nach den Modezeichnungen, die auf einem Tisch lagen. Soll ich mir auch eine neue Pelisse gönnen, überlegte sie und betastete den ausgefransten Kragen ihres Umhangs. Und ein spitzenbesetzter Unterrock. Wie wundervoll, endlich wieder etwas Geld zu besitzen …
Als Beau zurückkehrte, lief sie ihm entgegen und umarmte ihn. »Vielen Dank, daß du mich hierhergeführt hast! Was hältst du von Moosgrün oder Goldgelb?«
»Beides würde mir gefallen«, erwiderte er, ohne nach dem Anlaß ihres plötzlichen Stimmungsumschwungs zu fragen. Wie er aus Erfahrung wußte, kam ein Mann viel besser mit den Frauen zurecht, wenn er sich nicht für ihre Beweggründe interessierte.
»Außerdem will ich mir auch einen Unterrock mit Spitzenborten kaufen«, verkündete sie fröhlich.
»Gewiß, das wäre eine lohnende Anschaffung«, meinte er, sichtlich erfreut, und stellte sich Serena in ihrem neuen Unterrock vor.
»Außerdem brauche ich Schuhe.«
»Zur Zeit sind Slipper der letzte Schrei. Wir lassen welche anfertigen, passend zu deinem neuen Kleid.«
»Ach, ich bin ja so glücklich!« jubelte sie und warf beide Arme um seinen Hals. »Verzeih mir, daß ich mich so albern benommen habe!«
»Das habe ich gar nicht bemerkt«, log er galant.
»Von jetzt an werde ich höflich zu Mrs. Moore sein –-selbst wenn sie’s nicht ist.«
»Wahrscheinlich hast du ihr Verhalten mißdeutet.«
»Mag sein.« Nachdenklich runzelte sie die Stirn. »Aber sie sprach das Wort ›Kusine‹ mit einem spöttischen Unterton aus.«
»Falls sie das noch einmal wagt, werde ich sie auffordern, sich zu entschuldigen.«
»Nein, bitte, mach keine Szene. Das wäre zu peinlich.«
»Natürlich mache ich keine Szene. Und nun zeig mir, welche Modezeichnungen du herausgesucht hast.«
Etwas später kam die Schneiderin ins rosa Zimmer und lächelte so liebenswürdig, daß Serena beinahe glaubte, sie hätte sich das verächtliche Benehmen der Frau nur eingebildet. Ein Dienstmädchen trug ein Tee-und Kaffeetablett herein, und Mrs. Moore füllte persönlich die Tassen. Charmant plauderte sie über die Sehenswürdigkeiten, nachdem sie erfahren hatte, Serena würde die Stadt gern besichtigen. »Oh, Sie müssen sich unbedingt das alte Viertel anschauen. Dort ist die schöne mittelalterliche Architektur noch sehr gut erhalten. Nur dieser Stadtteil hat das Erdbeben von 1755 fast unbeschadet
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