Spion Für Deutschland
noch leer.
Wenn Gepäckstücke für längere Zeit abgegeben wurden, wurden sie hier verstaut. Erst wenn die von allen Seiten leicht zugänglichen Regale besetzt waren, würden die Beamten die Tiefe der Fächer ausnutzen und die Koffer dabei hintereinander stapeln. Ich hatte dann nur die Chance, die Gepäckstücke jeweils an der Außenseite zu sehen. Falls aber Bil y bei der Abgabe vermerkt hatte, daß er sein Gepäck in ein paar Stunden wieder abholen würde, blieb es einfach am Boden stehen.
Zwanzig-, dreißigmal schlich ich um die Gepäckhalle, beherrscht, gebannt, vorwärtsgetrieben von dem Gedanken: Hier ist es, hier muß es sein, hier hast du deine letzte Chance, deine einzige!
Ich kaufte mir eine Zeitung, tauchte im Gedränge unter und stellte mich lesend.
Wieder und wieder zwang ich mich, meinen Blick von den Koffern zu wenden.
Ich wechselte die Seite, hörte Kommentare zur Kriegslage, Hintergründe über das Liebesdrama am Hudson-River, die Vorzüge eines neuen Nagellacks und die Nachteile eines gebrauchten Autos.
Auch auf der zweiten Seite: Fehlanzeige! Noch weniger Chancen ! Und vielleicht noch eine halbe Stunde, zehn Minuten oder bloß fünf zum Handeln!
Ich postierte mich an der gegenüberliegenden Längsseite der Gepäckhal e, im Menschenstrom hin und her schaukelnd, auf die Koffer starrend. Getreten, tretend.
Zwei Stadtpolizisten kämpften sich durch das Gedränge. Ihre Augen hielten Razzia. Auf mich viel eicht schon. Sie gingen vorüber.
Und im gleichen Augenblick sah ich sie, sah ich meine Koffer! Drei, vier Meter von der Rampe entfernt, gleichgültig und stumpfsinnig neben andere, harmlose Gepäckstücke gestellt, angelehnt an eine Hutschachtel, einen Regenschirm, an eine Tasche ! Kein Zweifel: es waren meine Koffer, es war die von meinem Kompagnon gestohlene Leihgabe des Amtes VI, die letzte, verzweifelte, gebal te Ladung der deutschen Spionage während des Zweiten Weltkrieges. Vom Glück begünstigt, von einer desparaten Hoffnung vorwärtsgepeitscht, hatte ich sie in der größten Stadt der Welt wiedergefunden.
17 Uhr 45: Ich stand und überlegte. Jede Sekunde konnte Billy kommen. Er würde sich vorsichtig an den Schalter heranpirschen. Er würde mich natürlich sehen. Das ließ sich nicht vermeiden. Was würde er dann tun? Auf mich zugehen? Flüchten?
Ich kannte ihn. Ich glaubte, er hätte jetzt mehr Angst vor mir als vor der FBI.
Würde er aber zur amerikanischen Abwehr gehen und seinen Kopf mit meinem Kopf retten wollen? Das würde er nicht tun. Er wußte genau, was die
Amerikaner mit Verrätern machten, selbst wenn sie ihnen einen Dienst erwiesen hatten. Sie würden seine Informationen entgegennehmen, ihn ausquetschen, in Haft behalten und vor ein Kriegsgericht stellen, genau wie mich. Da waren sie konsequent. >Death by hanging< würde das Urteil bei ihm genauso lauten wie bei mir. Im Fall des Verräters Dasch, beim Unternehmen >Pastorius< wenigstens, war es so gewesen. Nach dem Urteil würde man Billy dann vielleicht zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigen und mich allein hängen. Wie im Fal Dasch . . .
17 Uhr 50: Sechs Personen, vier Männer und zwei Frauen, standen am Schalter.
Die Gepäckrückgabe ging rasch und reibungslos vor sich. Die Beamten prüften ganz salopp die Nummer, die Leute deuteten gleich auf ihr Gepäck und erhielten es ein paar Sekunden später. Ich ging näher an die Rampe heran.
Sechs Meter trennten mich von meinen Koffern. Stehlen konnte ich sie nicht. Es standen zu viele Leute herum.
Ich mußte sie wiederhaben! Drei Beamte waren am Schalter. Wann sie wohl abgelöst werden? Ich war so lange um die Gepäckaufbewahrung
herumgegangen, daß ich ihnen aufgefal en sein konnte. Hatte ich ihren Verdacht erregt, dann war es hoffnungslos, auf >gütigem< Weg mein Eigentum wiederzuerhalten. Als Billy und ich vor ein paar Tagen in New York an der
>Grand-Central-Station< unser Gepäck aufgegeben hatten und die ganze Zukunft des Unternehmens Elster< an einem Zehn Cent-Zettel mit einer Nummer hing, hatte ich Bil y, im Scherz eigentlich und ohne jede Absicht, gefragt:
»Was machen wir, wenn wir den Zettel verlieren?«
»Das ist nicht so schlimm«, hatte Bil y erwidert. »Wenn wir die Schlüssel vorzeigen, bekommen wir die Koffer wieder. In Amerika geht das nicht so genau. Diebe sind ja selten. Wegen eines Koffers läßt sich niemand einsperren.
Wenn man schon Verbrecher ist, dann dreht man bessere Sachen.«
Hatte er recht? Sollte ich es versuchen? Ich mußte es
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