Spion Für Deutschland
amerikanisches Getreideschiff mit 47 Matrosen. Neun Wochen später wird der US-Hauptankläger vor dem Kriegsgericht zu den Richtern sagen:
»Dieser Mann, Hoher Gerichtshof, dieser deutsche Spion Erich Gimpel, ist auch schuld daran, daß 47 ehrbare, tapfere Matrosen dieses Landes gestorben sind.
Daß Mütter ohne Trost unter dem Weihnachtsbaum saßen und daß nun
Dutzende von Kindern ohne Vater aufwachsen müssen.«
Der Ankläger wird eine Pause machen. Er ist ein glänzender Redner, ein im Pazifik mehrfach ausgezeichneter Offizier.
»Hohes Tribunal, ich habe keinen Zweifel, daß der Angeklagte mit seinem später von der FBI beschlagnahmten Sendegerät erst das deutsche U-Boot auf das Getreideschiff gehetzt hat! Wie konnte die U-Boot-Besatzung wissen, daß das Frachtschiff ausnahmsweise ohne Geleitschutz fuhr? Denken Sie an die 47
amerikanischen Seeleute, wenn Sie Ihr Urteil fäl en werden! Denken Sie an den 3. Dezember 1944, 5 Uhr 37 . . .«
3. Dezember, 5 Uhr 37! Ich stehe immer noch in dem Hausflur in der 33. Straße und starre auf den Eingang des Hotels >Kennmore-Hall<. Ich weiß nicht, was sich um diese Zeit auf hoher See ereignet. Ich habe auch nichts damit zu tun.
Ich weiß nicht, daß der Blattschuß des U-Boots 1230 später einen wenn auch nebensächlichen Punkt der Anklage gegen mich bilden wird. Den einzigen übrigens, in dem ich unschuldig bin.
Ich warte auf Billy und ich weiß, daß ich meinen Beobachtungsposten
bestenfalls noch ein paar Minuten halten kann. Die Nebelschwaden sind wie weggeblasen. Es wird von Minute zu Minute heller.
Ich muß aus dem Hausflur heraus. Ich muß mich entschließen, entweder meine Koffer im Stich zu lassen oder im Hotelzimmer auf Billy zu warten und dabei die Verhaftung zu riskieren. Ich sehe auf meine Armbanduhr. Drei Minuten noch, rede ich mir ein. Zwei Minuten noch. Eine einzige nur.
Der Verkehr wird dichter. Arbeiter der Frühschicht passieren die Straße. Ich gebe noch zwei Minuten zu. Und dann noch einmal vier.
Als ich aus dem Haus heraustrete, höre ich Billy, noch bevor ich ihn sehen kann.
Er ist nicht allein, und er ist nicht nüchtern. Er lacht schal end. Langsam torkelt er näher. Ich kann ihn jetzt erkennen. Der Whisky hat ein paar ungewöhnliche Konturen in sein aufgeschwemmtes Gesicht gezeichnet. Er lehnt sich gegen eine Frau. Auch sie ist nicht nüchtern. Die beiden halten sich gegenseitig umschlungen, lachen und fallen.
Eine Falle?
Ich bleibe im Hintergrund, im Schatten eines Hauses. Bil y und seine Begleiterin kommen näher. Wenn sie mir im Auftrag der FBI etwas vorgaukeln, sind sie jedenfal s glänzende Schauspieler. Aber nein! Das ist echt! Das muß echt sein!
Sie stehen unter der Hoteltüre. Er hält sich an ihr fest. Sie hat überlange, hel blond gefärbte Haare, die ihr in unordentlichen Strähnen auf die Schultern fal en. Sie hat ein Gesicht, das einmal hübsch war, und eine Figur, die sich noch sehen lassen kann.
»Komm mit!« sagt Billy.
»Bist du allein?«
»Nein«, erwidert er, »ein Freund ist bei mir.«
Sie lallt unartikuliert vor sich hin.
»Dann zieh aus«, verstehe ich.
»Das tue ich auch noch«, erwidert Billy. »Warte nur.«
»Und dann kommst du zu mir«, sagt sie. »Oder komm am besten gleich mit!«
Er steht zwanzig Meter von mir entfernt. Er hält sich an der Hausmauer fest. Ich würde ihn am liebsten mit Boxhieben zur Vernunft bringen. Aber ich wil nicht, daß mich seine Begleiterin sieht.
»Nein«, antwortet Billy. »Morgen erst... morgen komm' ich zu dir, Baby, verlaß dich drauf.«
Sie geht al ein weiter. Sie torkelt die Straße entlang. Ich beschatte sie. Ich will sehen, ob sie immer noch unsicher geht, wenn sie außerhalb des Blickfeldes von >Kennmore-Hal < ist.
Zehn Minuten lang verfolge ich sie. Ich habe keine Zweifel mehr, daß sie
>ehrlich< betrunken ist.
Billy hat sich schon ausgezogen, als ich zurückkomme. Es hat keinen Sinn, jetzt mit ihm zu reden. Ich warte ein paar Stunden. Tatsächlich kann ich noch einmal einschlafen.
Um neun Uhr wache ich auf. Ich ziehe Billy hoch, schleppe ihn an das Waschbecken, halte seinen Kopf unter das kalte Wasser.
»Laß mich!« schreit Billy.
»Den Teufel werde ich«, erwidere ich. »Schluß jetzt mit diesem Quatsch! Du bleibst jetzt bei mir und hörst auf zu trinken!«
»Ich mache, was ich wil «, antwortet er.
Er steht geduckt vor mir. Er steht da, als ob er auf mich einschlagen wollte.
»Sechs Wochen auf diesem verdammt Kasten . . . Und dann mit dem Strick
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