Spion Für Deutschland
Schlüssel.
Ich sprang auf. Ich riß die Pistole aus dem Halfter unter der Achsel, entsicherte sie. Mit einem Satz postierte ich mich so, daß ich den Eintretenden zuerst sah.
Was sollte ich tun, wenn es mehrere waren?
Die Schritte kamen näher. Das gekrümmte, zweite Glied des Zeigefingers war am Abzug.
Die Tür öffnete sich. Ich stand wie erstarrt.
Es war eine Frau! Jung und blond. Sie schrak zusammen, dann lachte sie.
Sie war groß, trug einen überweiten beigen Mantel, der in der Taille mit einem Gürtel zusammengerafft war. Amerikanerinnen haben oft unheimlich gute Nerven. Sie schrie nicht, sie lief nicht davon — sie lächelte.
»Spielen Sie Indianer?« fragte sie.
Ich war im Begriff, die lächerlichste Situation meines Lebens zu erleben . . .
In einem solchen Augenblick prägt man sich jede Einzelheit eines Gesichts ein: eine hohe, gewölbte Stirn, die feine Nase, den schmal nachgezogenen Mund, das natürliche, fast unsichtbare Lächeln, die langen Haare, die herabfielen, wie es ihnen paßte. Ich starrte das Mädchen an und überlegte dabei, wie ich unauffällig den ausgewachsenen Revolver in meiner Hand verschwinden lassen könnte.
»Wie kommen Sie hierher?« fragte ich.
»Das gleiche könnte ich Sie fragen«, erwiderte sie. Sie schloß die Tür und kam ein paar Schritte näher. Sie ging auf hohen Absätzen so sicher und graziös, als sei sie mit ihnen schon auf die Welt gekommen.
»Ich bin ein Freund von Paolo Santi«, erklärte ich.
»Und ich bin eine Freundin von ihm«, sagte sie.
Endlich hatte ich meinen Revolver wieder in die Tasche geschoben. Sie bauschte sich über dem Colt. Im Radio tobte eine Minute lang ein Schlagzeuger seine Kunst aus. Ich hatte das Gefühl, daß mein Kopf als Trommel verwendet würde.
»Paolo hat mir für ein paar Tage seine Wohnung überlassen«, fuhr ich fort; »er ist verreist.«
»Nicht schlecht«, antwortete das Mädchen. »Er muß mehrere Schlüssel haben. Er hat mir ebenfal s einen gegeben. Ich habe den Maler zu Hause. Es riecht nach Farbe, und ich kann Farbgeruch nicht ausstehen.«
»Ich heiße Jack Mil er«, stel te ich mich vor.
»Joan Kenneth«, entgegnete sie.
»Unter diesen Umständen ziehe ich natürlich aus«, sagte ich, »ich lasse Ihnen den Vortritt.«
»Es gibt noch Kavaliere . . . Aber warum wollen Sie eigentlich flüchten? Es gibt doch mehrere Räume in dieser Wohnung, nicht?«
Ich nickte und stand begossen da. Ihr gefiel meine Zurückhaltung. Sie hatte keine Ahnung, daß ich mich weniger um ihren Ruf als um meinen Auftrag sorgte.
»Gibt es hier denn nichts zu trinken?« fragte sie.
»Dahinten steht der Whisky. Wenn Sie eine halbe Stunde später gekommen wären, müßten Sie jetzt Milch trinken.«
»Ich komme immer zurecht.«
Sie legte ihren Mantel ab, ging in das Bad und kam nach zwei Minuten wieder.
»Ich nehme das Schlafzimmer«, sagte sie, »Sie können ja im Wohnzimmer bleiben. Schalten Sie doch das Radio etwas lauter. Tommy Dorsey, nicht wahr?
Gefällt er Ihnen?«
»Natürlich.«
»Wir werden es uns gemütlich machen. Oder wollen Sie immer noch
ausziehen?«
»Nicht unbedingt.«
»Na also«, erwiderte sie. »Und jetzt kommen Sie mit in die Küche und helfen mir! Oder haben Sie keinen Hunger?«
»Hunger nicht, aber Appetit«, antwortete ich.
Wir machten >Hamburgers<. Sie schmeckten vortrefflich. Wir fanden noch ein paar Flaschen Bier und tranken den Rest des Whiskys dazwischen. Wir hörten Tommy Dorsey, Glenn Miller und Louis Armstrong. Ab und zu verstummte die Band, und die Stimme aus dem Äther berichtete, wie viele Tonnen Sprenglast über deutschen Städten abgeworfen worden waren.
»Der Krieg wird bald aus sein«, sagte Joan. »Gott sei Dank.«
»Ja«, entgegnete ich.
»Waren Sie auch Soldat?«
»Ja, Marineoffizier.«
»Mein Bruder auch. Er ist gefallen . . . Pearl Harbour. Gleich am Anfang.«
»Der Teufel sol diese Japaner holen«, erwiderte ich.
Wir zündeten uns eine Zigarette an.
»Ganz gemütlich hier«, sagte Joan. »Ich hasse es, am Abend in Lokalen herumzusitzen. Aber ich hasse es auch, allein zu sein.«
»Mir geht es ganz genauso.«
»Sie sind kein Amerikaner.«
Ich zuckte zusammen. Aus war es mit der Gemütlichkeit! Alarm. Eine Agentin der FBI? Eine charmante Fal e? Eine Vorbotin des Henkers?
»Warum?« fragte ich.
»Sie sprechen wie ein Europäer, wie ein Skandinavier.«
»Meine Eltern waren Norweger«, antwortete ich.
»Warum sagen Sie das so verkrampft?« fragte sie. »Ich hätte ganz
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