Spion Für Deutschland
unterhielten sich, wie alle Amerikaner, über die Ardennenoffensive. In einem Lehnstuhl saß ein Mann. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Er las in einer Zeitung.
Las er wirklich?
Blitzartig war ich gewarnt. Ich kannte das. Ich wußte das. Ich hatte das gelernt.
Ich bemerkte sofort, wie die Zeitung ein ganz klein wenig nach unten sank, wie der Blick über den Rand ging, schnell und scheinbar gleichgültig, wie sich die Zeitung wieder nach oben schob und wie sich dasselbe wiederholte, zwei-, dreimal.
Der Mann, der die Zeitung in der Hand hielt, hatte die gleiche Ausbildung gehabt wie ich. FBI, sagte ich mir, FBI.
Ich kehrte ihm den Rücken zu. Ich schlug das dicke Buch auf, stieß sofort auf den Namen Griffith. Aber ich blätterte weiter, deutete mit dem Finger auf einer anderen Seite auf einen Namen, notierte ihn mir. Ich konnte meinen Verfolger nicht sehen, aber ich spürte ihn förmlich hinter mir. Ich fühlte instinktiv, daß er auf mich wartete, daß er mich erkannt hatte, daß er jetzt handeln würde. Im nächsten Augenblick. In dieser Sekunde.
Ich richtete mich auf. Der Portier kam zurück.
»Sie wünschen, Sir?« fragte er.
»Ein Verwandter von mir wol te bei Ihnen absteigen«, antwortete ich. »Mr. James H. Miller.«
»Er ist nicht da«, entgegnete der Portier. »Tut mir leid.«
Ich stand ein paar Sekunden lang unentschlossen herum. Mein Verfolger tarnte sich wieder hinter der Zeitung. Seine Hände waren ganz ruhig. Das Blatt mit den riesigen Schlagzeilen zitterte nicht. Was würde er tun? Welche Vorschriften hatte die FBI?
Während ich den Unentschlossenen spielte, überlegte ich mir blitzartig: Es gab eine strenge Anweisung bei der FBI, daß jeweils nur zwei Beamte eine Verhaftung vornehmen dürfen. Der Mann war allein. Viel eicht war sein Kollege auf die Toilette gegangen? Viel eicht mußte er erst Verstärkung anfordern?
Vielleicht hohe der zweite Mann gerade Zigaretten?
»Kann man hier mal austreten?« fragte ich den Portier.
»Hinten links«, erwiderte der Mann.
Ich gab ihm zwanzig Cents und ging langsam ab. Meine Schritte wurden auch nicht schneller, als ich außer Sichtweite war. Man hörte mich ja noch.
Ich blieb stehen. Von meinem Standort aus konnte man die Portierloge noch sehen. Wenn meine Nerven mich nicht genarrt hatten, würde der Mann mit der Zeitung jetzt aufstehen, an das Pult gehen und festzustel en versuchen, welchen Namen ich mir notiert hatte.
Richtig! Da stand er. Beugte sich über das Buch.
Ich ging an der Toilette vorbei, passierte die Küche. Eine Treppe ging nach oben. Aber oben saß ich in der Fal e. Wenn ich zurückging, verhaftete er mich.
Ich konnte ihn über den Haufen schießen, aber in der belebten Straße würde ich damit nicht weit kommen. Sinnlos.
Schnell, schnell! redete ich mir ein. Und doch wußte ich, daß ich mit dem Kopf und nicht mit den Beinen fliehen mußte. >Lieferantenausgang< stand an einer Tür. Gott, wenn sie nicht versperrt wäre! Eine Chance! Eine winzige, letzte Chance! Ich legte die Hand auf die Klinke . . .
Es war ganz still hinter mir. Der FBI-Beamte wartete am Empfangspult. Die beiden Damen unterhielten sich über die Ardennenoffensive. Ich hörte ihre Stimmen, verstand einzelne Worte. Der Portier ging nach oben. Ein Radio spielte halblaut. Die Sonne raffte sich zu einem Kraftakt auf, schien klar und stark durch die Scheiben. Ein Koch ging an mir vorbei. Der Gang war schmal, ich mußte zur Seite treten. Er tippte mit zwei Fingern an die weiße Mütze.
»Entschuldigung, Sir«, murmelte er.
Die Tür gab nach! Der Lieferanteneingang war unversperrt! Ein Zufall, vielleicht eine Nachlässigkeit. Ich brachte meine Nerven zur Räson. Ruhe jetzt! Ich machte die Tür langsam, ganz langsam, ganz vorsichtig auf — für den Fall, daß die Scharniere quietschten. Aber sie waren frisch geölt.
Der FBI-Mann konnte mich von seinem Platz aus nicht sehen, aber er mußte mich jede Sekunde zurückerwarten. Er mußte mit jeder Sekunde mehr Verdacht schöpfen. Warum handelte er eigentlich nicht? Warum zog er nicht seine Pistole, kam auf mich zu und sagte:
»Edward Green? Sie sind verhaftet! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß von jetzt an jede Äußerung von Ihnen vor Gericht gegen Sie verwandt werden kann.«
Ich stand im Hof. Er war quadratisch angelegt, war nicht sehr groß und hatte eine Einfahrt für die Lieferautos. Sie stand offen. Links, gleich an der Hauswand des Hotels, arbeiteten zwei Männer an einem Lastauto. Der eine lag
Weitere Kostenlose Bücher