Spione kuesst man nicht
über Mode erfahren, weil Macey Notizen zur organischenChemie hineingeklebt hatte, die das Thema des Monats – Seide – verdeckten.
Als wir am Abend auf dem Fußboden unseres Zimmers saßen, auf den Macey ihre Hausaufgaben verstreut hatte, wurde ich unsicher, ob dieses Bündnis wirklich funktionieren konnte. Zum Glück hatte Liz sich ein paar Gedanken dazu gemacht.
»Als Erstes könntest du mal erklären, was das zu bedeuten hat.« Sie hielt Macey das Briefchen von DeeDee vors Gesicht.
»Iiiieh!«, schrie Macey, wandte den Kopf ab und hielt sich die Nase zu, während sie mit der anderen Hand den Zettel wegschubste.
Aber was Liz an Körperkraft fehlt, gleicht sie mit Zähigkeit aus. Sie schob den Zettel wieder in Maceys Richtung, obwohl sie wie ein Rohrspatz schimpfte. »Ich dachte, ihr hättet den Müll weggeschmissen!«
»Den Brief hier nicht. Er ist ein Beweismittel«, sagte Liz, was ihrer Meinung nach offensichtlich war.
»Bäh! Widerlich!«
Ich merkte, dass Bex unruhig wurde. Sie hatte uns total ignoriert, aber ich wusste, dass ihre Sensoren in Alarmbereitschaft waren. Ihr Blick wandte sich keinen Millimeter von ihrem Heft ab, aber sie bekam alles mit. (Bex ist eben eine echte Spionin.)
»Was bedeutet das?«, fragte Liz erneut und rückte immer näher an Macey, unsere neue Professorin für den Fachbereich Jungs, heran.
Macey schaute wieder in ihr Heft und kam wohl zu dem Schluss, dass sie genug gelernt hatte, weil sie ihre Notizen beiseiteschob. Sie stapfte zu ihrem Bett, warf einen kurzen Blick auf den Zettel und ließ ihn auf den Boden fallen.
»Es bedeutet, dass er gefragt ist.« Sie nickte in meine Richtung. »Gute Wahl.«
»Aber mag er sie auch?«, wollte Liz wissen. »Diese DeeDee?«
Macey zuckte mit den Achseln und streckte sich auf dem Bett aus. »Schwer zu sagen.«
Liz holte einen Aktenordner hervor, den sie schon eine Woche lang mit sich herumgeschleppt hatte. Ich hatte angenommen, dass es um ein zusätzliches Projekt ging – wer hätte ahnen können, dass es unser zusätzliches Projekt war! Sie schlug den Ordner mit Wucht auf, und hundert Blatt Papier raschelten im plötzlichen Windstoß. Ich schaute auf die Überschriften jeder Seite, während Liz in der Akte blätterte. »Siehst du –« Sie zeigte auf eine farbig markierte Stelle. »In dieser E - Mail hat er das Wort »Bro« in Bezug auf seinen Freund Dillon benutzt. Wie in – ich zitiere: ›Bleib locker, Bro. Alles okay.‹ Er hat keinen Bruder. Was ist mit den Jungs eigentlich los, dass sie sich so anreden? Ich nenne Cam oder Bex ja auch nicht Sis. Warum?«, wollte sie wissen, als ob ihr Leben davon abhinge, das zu verstehen. »WARUM?«
In diesem Moment sah Macey Liz an, als ob sie dumm wäre. Von allen Verrücktheiten, die ich in diesem Betrieb schon gesehen hatte, war das wohl das Verrückteste.
Macey legte den Kopf schief und sagte: »Du bist das Über-Genie?«
In Sekundenschnelle sprang Bex vom Bett und auf Macey zu. Die Sache würde böse enden – richtig böse. Aber Liz war anscheinend gar nicht verletzt. Im Gegenteil, sie sah Macey nur an und sagte: »Ich weiß, du hast recht.« Als ob sie sich über sich selber wunderte.
Bex blieb stehen. Ich atmete aus. Und am Ende schüttelteLiz nur staunend den Kopf, und all die unbeantworteten Fragen flogen davon – so, wie ich es schon tausendmal miterlebt hatte. Da wusste ich, dass Jungs für Liz nur ein Schulfach waren, ein Code, den es zu knacken galt. Schließlich ließ sie sich auf den Boden fallen und sagte: »Ich muss eine Tabelle anfertigen.«
»Also«, sagte Macey ergeben und setzte sich auf. »Wenn er zu den sentimentalen Typen gehört, bedeutet es, dass sie ihm egal ist. Wenn nicht, mag er sie vielleicht – oder auch nicht.« Sie beugte sich näher zu uns, damit wir sie besser verstanden. »Ihr könnt analysieren, theoretisieren oder sonst was machen, aber was nutzt das alles? Ihr seid hier drin. Er ist dort draußen. Und ich kann nichts dagegen tun.«
»Oh«, sagte Bex und öffnete den Mund zum ersten Mal. »Das ist sowieso nicht dein Spezialgebiet.« Ich konnte sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten. Sie trat vor und sah aus wie ein Mädchen mit einem Ziel. »Aber unseres.«
S pione sind klug. Spione sind stark. Aber vor allem sind sie geduldig.
Wir warteten zwei Wochen. ZWEI WOCHEN! Wisst ihr, wie lang das für ein fünfzehnjähriges Mädchen ist? Sehr lang. SEHR, SEHR lang. Ich begann, für all die Frauen Mitgefühl zu entwickeln,
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