Spione kuesst man nicht
die von ihren biologischen Uhren sprechen. Meine hat natürlich noch viele Sekunden zu ticken, trotzdem schaffte ich es, mir in jeder freien Minute Sorgen um die Operation Josh zu machen – und das an der Spionageschule für Genies, wo freie Minuten eine Seltenheit sind. Ich kann mir nur vorstellen, wie elend sich ein Mädchen fühlen muss, das auf eine normale Schule geht, da sie ihre Samstagabende bestimmt nicht damit verbringt, ihrer besten Freundin beim Knacken von Codes zu helfen, die amerikanische Spionagesatelliten schützen. (Liz gab mir sogar etwas von ihren Bonuspunkten ab, die sie von Mr Mosckowitz bekam – wie viel Geld ihr die Nationale Sicherheitsbehörde anbot, behielt sie für sich.)
Wir befanden uns in der klassischen Warteschleife, sammelten Informationen, erstellten sein Profil und meine Legende und warteten, bis wir hatten, was wir brauchten.
Zwei Wochen lang. ZWEI WOCHEN! (Falls ihr es immer noch nicht wisst.)
Dann hatten wir auf einmal Glück – so, wie alle guten Geheimagenten.
Dienstag, 1. Oktober. Zielperson hat eine E - Mail von Dillon erhalten, Künstlername »D’Man«, in der dieser anfragt, ob die Zielperson im Anschluss an die Theaterprobe nach Hause gefahren werden möchte. Die Zielperson antwortet, dass sie zu Fuß nach Hause geht, da sie ein paar DVDs bei »AJ’s« abgeben muss (lokale Firma am Marktplatz, die sich auf den Verleih von Filmen und Computerspielen spezialisiert hat).
Ich schaute auf die Mail, die Bex mir am Frühstückstisch zuschob.
»Heute Abend«, flüsterte sie, »sind wir dabei.«
In der GehOp-Stunde konnte ich nicht schnell genug mitschreiben. Mr Solomon ist ein Genie, dachte ich und fragte mich, warum es mir bisher nicht aufgefallen war.
»Lernt eure Legenden so früh wie möglich auswendig. Lernt sie gut auswendig!«, empfahl er uns und packte die Rückenlehne seines Stuhls, auf dem er noch nie gesessen hatte. »Der Bruchteil einer Sekunde, den ihr braucht, um euch an eure Tarnidentität zu erinnern, ist der Moment, in dem sehr böse Menschen sehr böse Sachen tun.«
Meine Hand zitterte. Bleistiftkrakel bedeckten die Seite – soähnlich wie damals, als ich in Dr. Fibs’ Stunde mit einem Bleistift schreiben wollte und dann feststellen musste, dass es gar kein normaler Bleistift war, sondern der Prototyp eines neuen automatischen Morse-Code-Umsetzers. (Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich die Schuldgefühle, ihn angespitzt zu haben, noch nicht vollständig losgeworden bin.)
»Denken Sie vor allem daran, als getarnte Agentin im Einsatz zu sein, heißt nicht, sich Zielpersonen zu nähern.« Mr Solomon sah uns scharf an. »Es bedeutet, sich in eine Lage zu bringen, in der die Zielperson sich Ihnen nähert.«
Ich weiß nicht, wie es anderen Mädchen geht, aber als Spionin ist es ein Riesenaufwand, sich zum Ausgehen anzuziehen. (Vielleicht darf ich mich bei dieser Gelegenheit für den Klettverschluss bedanken. Kein Wunder, dass die Gallagher Akademie ihn erfunden hat.)
»Ich finde immer noch, wir hätten ihr die Haare hochstecken sollen«, sagte Liz. »Das sieht so elegant aus und würde ihr fantastisch stehen.«
»Ja, genau«, höhnte Macey, »weil die meisten Mädchen elegant sein wollen, wenn sie am Marktplatz von Roseville abhängen.«
Ich war ganz ihrer Meinung.
Aber eigentlich war es mir ziemlich egal, obwohl es doch um meine Haare ging, denn ich hatte eine Menge anderer Dinge im Kopf, nicht zuletzt das Arsenal von Gegenständen, das Bex auf dem Bett ausgebreitet hatte. Nicht, dass ich alles hätte sehen können, weil Macey mich schminkte und ständig »Hochschauen!«, »Runterschauen!« oder »Stillhalten!« bellte.
Wenn sie keine Befehle brüllte, sagte sie Sachen wie: »Rede,aber nicht zu viel. Lache, aber nicht zu laut.« Mein Lieblingsspruch war: »Wenn er kleiner ist als du, geh in die Hocke.«
Dann übernahm Bex. »Reden wir über Taschenabfall.« (Kein Satz, den ihr jeden Tag zu hören bekommt, es sei denn, ihr seid – na ja – eben wir.) »Du bist noch keine sechzehn, also sind Ausweise kein Problem, trotzdem müssen wir dafür sorgen, dass deine Tarnung stimmt.« Sie drehte sich um und fing an, die Sachen auf dem Bett unter die Lupe zu nehmen. »Nimm das hier«, sagte sie und warf ein Päckchen Kaugummi in meine Richtung. Es war die gleiche Marke, die wir in Joshs Abfall gefunden hatten. »Um zu zeigen, dass ihr ähnliche Dinge mögt, und für einen angenehmen Atem und so.« Bex schaute wieder auf das Bett.
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