Spionin in eignener Sache
wieder über einen Präzedenzfall, aber ansonsten nichts. Meiner Meinung nach sind sie überhaupt nicht mehr fähig zu denken, sondern bewegen sich einfach in den alten, ausgefahrenen Gleisen weiter, die so lange funktioniert haben und die ihrer Ansicht nach in einer intak-ten – was für sie heißt: weißen, männlichen – Welt weiter funktionie-ren sollten. Aber fast die Hälfte der Studenten sind natürlich Frauen, und viele Studenten gehören Minderheiten an, was für die Professorenschaft um so mehr ein Grund ist, ihnen die alten Praktiken einzu-impfen.«
»Hat es viel Protest von Seiten der Frauen und Minderheiten gegeben?« fragte Kate, als der Hauptgang serviert wurde. »Erheben sich die Massen?«
»Bei weitem nicht. Unsere Studenten sind nicht die verhätschel-ten Schätzchen von Harvard und Yale, keine Prinzen, denen die ganze Welt offen steht. Sie haben sich ihre jetzige Position hart er-kämpfen müssen, und sie denken nicht daran, ihren Abschluß und ihre berufliche Zukunft aufs Spiel zu setzen, was man ihnen wohl kaum verübeln kann. Deshalb bin ich der Meinung, es ist Sache der Dozenten, die Initiative für Veränderungen zu ergreifen. Was Nellie 42
Rosenbusch und ich auch getan haben.«
»Nellie Rosenbusch?«
»Die Professorin, die von einem Laster überfahren wurde. Harriet und ich haben allerdings so unseren Verdacht.«
»Ach ja, natürlich. Ich habe davon gehört. Ich wußte nur ihren Namen nicht.«
»Nellie war dem Lehrkörper ein Dorn im Auge. Sie hatte einige Studentinnen auf ihre Seite gezogen, und die empörten Professorenkollegen machten ihr das Leben schwer, wo sie nur konnten, ließen keine Gemeinheit aus, angefangen von sexueller Belästigung bis hin zu den Schikanen, die, wie ich gehört habe, in West Point üblich sind
– Außenseiter wie Luft zu behandeln zum Beispiel.«
»Aber sie hatte einen Lehrstuhl?«
»Ja. Das hätte ich erwähnen sollen. Sie wurde im selben Jahr berufen wie ich, und sie bekam ihren Lehrstuhl meinetwegen. Wir beharrten darauf, daß sie genauso qualifiziert sei wie ich, wenn nicht qualifizierter, und wir machten dem Dekanat klar, daß ich sie dabei unterstützen würde, ihre Berufung auch vor Gericht durchzusetzen.
Die Schuyler kam dann wohl zu der Ansicht, der beste Ausweg sei, uns beide zu berufen. Ob Sie es glauben oder nicht, Nellie Rosenbusch war die erste Frau mit Lehrstuhl an der Schuyler. Man dachte wohl, wenn sie erst einmal in den erlauchten Club aufgenommen sei, würde sie den Mund halten und sich fügen. Aber das tat sie nicht.«
»Und Sie glauben, sie wurde umgebracht? Man stieß sie unter den Laster, spuckte in die Hände und sagte sich: ›Das Problem hätten wir vom Hals‹?« Kate ließ die Gabel sinken. »Gibt es irgendwelche Hinweise, daß es so war, abgesehen von Motiven, günstiger Gelegenheit und Ihrem tiefen Verdacht?«
»Nichts, was man Indizienbeweise nennen könnte. Sie landete vor dem Laster, einem dieser hohen Dinger, und der Fahrer sah sie überhaupt nicht. Sie war nicht sehr groß.« Er hielt inne.
»Deutet irgend etwas daraufhin, daß sie gestoßen wurde?« wiederholte Kate.
»Die Leute, die mit ihr vor der Ampel warteten, glauben, sie muß gestoßen worden sein, weil sie ganz plötzlich stolperte und hinfiel.
Aber niemand bemerkte etwas Verdächtiges. Alle starrten auf Nellie und den Laster, und das einzige, woran sich die Leute erinnern, sind die quietschenden Bremsen. Die Polizei hat ihr Bestes getan, fand aber verdammt wenig heraus, abgesehen von der Tatsache, daß es keinen Grund auf der Welt gab, warum sie plötzlich hätte fallen 43
sollen. Sie machten die übliche Autopsie und stellten keinerlei körperliche Ursachen fest – wie Herzanfall, Alkohol, Drogen, nichts dergleichen.«
»Ich hoffe nur, man erwartet jetzt nicht von Reed und mir, die Wahrheit über ihren Tod herauszufinden. Ich weiß, ich habe mich von Zeit zu Zeit detektivisch betätigt, aber ich möchte klarstellen, daß wir an die Schuyler kommen, um ein Seminar zu halten und ein Projekt zu leiten. Oder hofft man doch, daß wir uns mit dem Fall befassen?«
»Ganz bestimmt nicht. Meine einzige Hoffnung ist, daß es uns mit dem Kurs gelingt, ein bißchen Basis-Feminismus zu verbreiten und deutlich zu machen, daß, wenn Recht und Literatur sich etwas zu sagen haben, dann auch die Rechtsprechung und das Leben. Das wirkliche Leben, meine ich, nicht, wie es in den abgedruckten Urteilen erscheint. Deshalb möchte ich bei den Fällen, die wir in
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