Spionin in eignener Sache
sicher um diese Uhrzeit. Ich gehe nur durch Straßen, die ich kenne und denen ich traue, was ich von den Leuten, mit denen ich mich auf gemeinsame Seminare einlasse, nicht behaupten kann.« Ihr Lächeln milderte ihre Worte ab.
Zusammen traten sie auf die Neunundfünfzigste. Kate hoffte, er würde nicht anbieten, sie zu begleiten. Er tat es nicht, und das sprach für ihn. Er wußte, der Abend hatte alles gebracht, was zu erhoffen war, und jede weitere Unterhaltung wäre nur ermüdend. Apropos ermüdend, sie hörte Reed schon sagen, daß es doch bestimmt eine angenehme Abwechslung sein müsse, Gerichtsakten zu lesen statt
›Middlemarch‹.
Reed sagte es nicht, als sie nach Hause kam, weil sie ihm zuvor-kam.
»Natürlich«, fügte sie hinzu, »könnte man ebensogut damit beginnen, Susan Glaspells ›A Jury of Her Peers‹ zu lesen, einen der grundlegenden feministischen Texte, der jahrelang ignoriert wurde, in dem aber eigentlich schon alles gesagt ist.«
»Den Text kenne sogar ich«, sagte Reed. »Die Männer schwad-ronieren herum, und die Frauen finden heraus, was wirklich geschah, weil sie den Dingen auf den Grund gehen und die Hinweise richtig interpretieren. Es geht um überhebliche männliche Selbstgefälligkeit kontra bescheidene weibliche Beobachtungsgabe. Stimmt’s?«
»Höre ich da einen abfälligen Unterton heraus?« fragte Kate.
»Fang jetzt bloß nicht an, mich zu ärgern. Wie steht’s denn mit deinem Projekt?« lenkte sie ihn geschickt ab.
»Wir haben uns endgültig für ein Häftlingsprojekt entschieden.
Aus meinen Tagen in der Bezirksstaatsanwaltschaft habe ich noch einen guten Draht zur Strafvollzugsbehörde, die mir, wie ich hoffe, den Zugang zu den Gefängnissen erleichtern wird. Aber egal wie, 46
mit oder ohne Beziehungen, das Gefängnis auf Staten Island ist unser Ziel. Die Hälfte der Insassen sind Frauen, und ungefähr ein Zehntel davon hat seine Ehemänner umgebracht. Weißt du Kate, erst seit mir – dank dir – klarwurde, wie festgefahren ich war, kann ich in der Leitung dieses Projekts eine faszinierende Aufgabe sehen.«
»Wenn du es sagst. Und was genau wirst du in deinem Projekt an der guten alten Schuyler tun?«
»Zuerst werden die Studenten in alle Kniffe des Straf rechts eingeweiht, damit sie die Häftlinge vertreten können. In einigen Fällen wollen wir Haftprüfungen erwirken, in anderen Beschwerden über die Zustände im Gefängnis überprüfen, wie unzureichende medizinische Versorgung und mangelnde Sicherheit. Zum Schluß treten die Studenten dann vor Gericht auf und verhandeln mit verschiedenen Behörden wie der Kommission für bedingte Haftentlassungen zum Beispiel. Natürlich werden wir das alles vorher proben, in simulierten Gerichtsverhandlungen. «
Mit gespieltem Amüsement ließ Kate die Augenbrauen hoch-schnellen.
»Wirklich, Kate, wenn du dich schon darauf einläßt, an einer juristischen Fakultät zu lehren, dann mußt du dich auch ein bißchen mit dem Jargon vertraut machen. Simulierte Gerichtsverhandlungen, um die Studenten fit zu machen, meine Liebe, sind ein geheiligtes Ritual in der Ausbildung von Juristen. Ich vermute, selbst die gute alte Schuyler verzichtet nicht darauf. «
»Wie viele Studenten sind an deinem Projekt beteiligt?« Kate widerstand der Versuchung zur Flachserei. Spott war zwar die Wür-ze ihrer Ehe, und Kate genoß ihn, aber früher oder später mußte man zur Sache kommen.
»Ich habe um höchstens zehn Studenten gebeten, aber wahrscheinlich werden sie mir zwölf zuteilen, um sicherzustellen, daß ich überlastet bin. Das sähe denen ähnlich.«
»Willst du damit sagen, die einzige Chance für diese armen Häftlinge, juristischen Beistand zu bekommen, sind zehn oder zwölf Zweitsemester-Jurastudenten?«
»Viertsemester«, korrigierte Reed. »Ohne diese Studenten und das Projekt hätten sie überhaupt keine Chance. Natürlich gehe ich mit den Studenten zusammen vor Gericht; meistens halten sie sich zwar großartig, aber manchmal ist es doch nötig, daß sich ein Professor, in diesem Fall ich, einschaltet und sagt: ›Lassen Sie mich etwas hinzufügen‹. Nicht oft allerdings, wenn alles gut läuft.«
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»Erklär es mir noch mal. Wer genau sind diese Häftlinge?
Abgesehen von geschlagenen Frauen und illegalen Einwande-rern. Wie du siehst, habe ich gut zugehört.«
»Oft wird Angeklagten empfohlen, sich schuldig zu bekennen, was aber von Nachteil für sie sein kann. Oder es unterliefen gravie-rende Fehler bei ihrem
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