Spionin in eignener Sache
Charles, werde aber von allen Rosie genannt.«
Er ging ihr voraus durch die Hintertür und führte sie an einer Art Waschküche vorbei in eine große sonnige Küche, die durch den gelben Fußboden und die mit gelbem Chintz bezogenen Sessel vor dem Kamin, gegenüber dem Arbeitsbereich, noch sonniger wirkte.
Es scheint mein Schicksal zu sein, mich in Küchen zu unterhalten, dachte Kate.
Rosie setzte sich in einen Sessel und wies ihr den gegenüberstehenden. »Und wie kann ich Ihnen helfen?« fragte er. Kate erinnerte sich, daß er auf dem Foto mit Nellie im Arm gelächelt, nein, gelacht hatte. Jetzt wirkte er so düster, daß man ihm jenes Lachen nicht glauben wollte.
»Erzählen Sie mir, worüber Nellie während ihrer Zeit an der Schuyler sprach; was sie über die Leute dort sagte. Lassen Sie nichts aus, gleich wie belanglos es Ihnen erscheint.«
»Wir sprachen über alles – schon immer. Das gibt Ihnen viel-85
leicht ein Bild unserer Beziehung, oder unserer Liebe. Ich bin froh, daß Sie beim Wort Liebe zwischen Bruder und Schwester nicht zu-sammengezuckt sind. Sie müssen wissen, ich spreche von nichts Wagnerianischem oder von pubertären Liebesspielchen zwischen Geschwistern. Wir haben uns einfach gern gehabt und geliebt. Oft denke ich«, fügte er nach einer kleinen Pause nachdenklich hinzu –
bisher hatte er Kate noch keinen Moment direkt angesehen – »daß die Bruder-Schwester-Beziehung von Psychologen, Schriftstellern und anderen dieser Gattung unterbewertet wird. Freud hat sie alle so mit dem verdammten Ödipus-Komplex vollgequatscht, daß sie für die anderen familiären Bindungen blind sind. Einfach idiotisch, finde ich.«
»Waren Sie Zwillinge?«
»Ich sagte doch – nichts Wagnerianisches. Ich war achtzehn Monate älter; achtzehn Monate, in denen ich, wie ich heute manchmal glaube, auf sie gewartet habe – darauf wartete, daß sie meine Freundin und Verbündete gegen die Eltern wird. Oh, denken Sie jetzt bitte nicht, wir hätten grausame oder schreckliche Eltern gehabt. Sie waren nur die perfekten Mittelschicht-Eltern, langweilig und durch und durch konventionell. Wie sie uns immer wieder sagten, wollten sie für uns nur das, was alle Eltern für ihre Kinder wollen: der Junge soll ordentlich verdienen und das Mädchen einen vernünftigen Ehemann finden. Natürlich stritten sie sich auch, in einer folie à deux, die wahrscheinlich symptomatisch für die meisten Ehen ist. Nellie und ich führten einfach ein anderes Leben.«
»Hat Ihre Schwester Sie auch Rosie genannt?« fragte Kate nach einer längeren Pause, um die Stille zu durchbrechen.
»Nein, sie sagte Charles zu mir. Ich nannte sie Nellie, weil unsere Eltern sie bei ihrem Taufnamen Elinor riefen. Irgendwo hatte sie gehört, Nellie sei die Kurzform von Elinor, und das blieb dann hängen.« Wieder hielt er inne. »Wenn Sie wissen wollen«, fuhr er schließlich fort, »ob wir über alles miteinander sprachen, ist die Antwort ja, das taten wir, bis ganz zum Schluß.«
Kate wartete. Er würde schon auf die Schuyler zu sprechen kommen. Ihr Mund war trocken, aber etwas zu trinken war nicht in Sicht. Sie hätte gern eine Tasse Tee gehabt oder wenigstens ein Glas Wasser. Aber sie wollte ihn nicht unterbrechen.
»Nellie war glücklich, als sie den Job an der Schuyler bekam. Sie wußte, es war keine renommierte Law School, nicht mal eine gute, aber ihr gefiel es, daß viele Studenten, besonders Studentinnen, 86
schon älter waren. Sie nahmen ihr Studium ernst und hatten hart dafür gearbeitet, noch einmal an die Universität zu gehen – im Gegensatz zu den vielen verwöhnten Gören an den Eliteuniversitäten.
Außerdem wollte sie in New York leben – was ich nie verstand. Ihr lag nichts an Abgeschiedenheit; sie war von Natur aus kein Einzelgänger wie ich. Wir haben uns oft gesehen – meistens kam sie übers Wochenende her, manchmal trafen wir uns auch irgendwo außerhalb von New York, denn ich hasse die Stadt. Außerdem telefonierten wir regelmäßig, und ich schickte ihr immer meine Gedichte.«
»Ich habe vergeblich versucht, mir Ihre Gedichte zu kaufen«, warf Kate ein. »Schließlich fand ich einen Band in der Bibliothek.
Wenn Sie mir sagen können, wo ich ein Exemplar bekommen kann, wäre ich dankbar. Ihre Gedichte gefallen mir. «
»Was gefällt Ihnen daran?« fragte er mißtrauisch.
»Sie haben eine Stimme. Es gefällt mir, wenn die Stimme des Dichters in seinen Gedichten zu hören ist. Klingt das altmodisch?«
»Für mich
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