Spionin in eignener Sache
«
»Sagen wir lieber, ich bin in keiner Position, mich aufzuregen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Das weiß ich selbst nicht. Reed ist sehr attraktiv und sehr liebenswert. Fällt es Ihnen schwer, jeden Tag mit ihm zusammenzuar-beiten? «
»Ich sehe ihn nicht jeden Tag, sondern nur zweimal in der Woche; einmal, wenn wir ins Gefängnis gehen, und einmal, wenn er ins Büro kommt, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die meiste Zeit bin ich allein da, bearbeite die Akten, beantworte das Telefon und sorge dafür, daß die Studenten wenigstens einmal am Tag vor-beikommen, um Nachrichten abzuholen und zu gucken, wie ihre Fälle laufen.«
»Bobby, bitte«, seufzte Kate. »Behalten Sie den Verkehr im Au-ge, nicht mich! Sie brauchen mich nicht anzugucken, hören Sie mir einfach zu. Helfen Sie Reed, daß es mit seinem Projekt vorwärtsgeht, und Sie kommen darüber hinweg, glauben Sie mir. Passen Sie auf, daß die Sache nicht zur Obsession wird und sich nicht in Ihre Zusammenarbeit mischt. Sie werden schon sehen, am Ende des Semesters haben Sie das Ganze fast vergessen.«
»Ich will es ja selbst nicht glauben« – Bobby hatte die Augen Gott sei Dank wieder nach vorn gerichtet –, »wie ich nach dem Mann einer Frau verrückt sein kann, die ich bewundere, und der sowieso viel zu alt für mich ist. Und wenn Sie mir jetzt mit irgend-welchem Freudschen Zeug über Väter kommen, werde ich nie wieder ein Wort mit Ihnen reden. Höchstens dienstlich.«
»Bobby, warum sagen Sie mir nicht, was Ihnen sonst noch Kummer macht? Es kann nicht nur Reed sein, auch wenn Sie für ihn schwärmen.«
»Schwärmen!«
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»Entschuldigen Sie das herablassende Wort. Ich nehme es zu-rück. Sie fühlen sich zu ihm hingezogen, sind gern mit ihm zusammen, Sie wollen ihn oder glauben es zumindest. Und das bringt Sie aus dem Konzept. Aber Sie haben noch andere Sorgen als ihre Ge-fühle für Reed, die, stelle ich mir vor, schmerzlich und angenehm zugleich sind, so, als stieße man mit der Zunge an einen schmerzen-den Zahn.«
»Ja, ich mach mir Sorgen, Kate. Weil ich mich für eine Art Monster halte. Na, nicht gerade ein Monster, aber eben nicht normal.«
»Normal ist weiß Gott nicht mein Lieblingswort.« Kate schüttelte sich. »Es bezeichnet eine statistische Größe, ist Ausdruck konventioneller Übereinkünfte, mehr nicht. Als meine Mutter jung war, galt es als unnormal, wenn Mädchen intellektuelle Interessen hatten. Später hieß normal, bis zur Hochzeit Jungfrau zu bleiben und dann in einen Vorort zu ziehen. Normal ist, was den Verkauf von Mode, Gesichts-cremes und anderen Konsumgütern fördert. Und jetzt, wo wir das klargestellt haben – was bekümmert Sie wirklich, Bobby? Ich finde Sie großartig, natürlich abgesehen davon, daß Sie hinter meinem Mann her sind.«
»Ich habe es immer gehaßt, ein Mädchen zu sein. Nicht, weil ich lieber ein Junge gewesen wäre, sondern weil mir all die Dinge zuwi-der waren, die Mädchen angeblich gefallen: Kleider, Mode, Gäste bewirten, Gartenarbeit, Nähen – und bei dem ganzen Zeugs auch noch zu wissen, was gerade angesagt und der letzte Schrei ist. Ich kann es einfach nicht wichtig finden, ob irgendein Vorhang zu einer Tischdecke paßt, ob man krauses oder glattes Haar hat, und es gelingt mir auch nicht, mir den Kopf über Lidschatten zu zerbrechen.
Ich weiß, ich rede ziemlich konfus. Aber meine Abneigung gegen diese Dinge wurde immer stärker; manchmal traf ich Mädchen, die wie ich dachten, oder, noch besser, die mich mochten, obwohl sie anders waren. Meistens mußte ich aber irgendwelche ›femininen‹
Interessen heucheln, die ich gar nicht hatte. Das ist einer der Gründe, warum ich mich auf Wirtschaftsrecht spezialisieren will. Da werde ich mich zwar auch auftakeln müssen, aber das ist wie eine Verklei-dung – als ginge ich zur Armee und müßte Uniform tragen. Ich hoffe bloß, eines Tages werde ich eine so gute Anwältin sein, daß ich mich benehmen und kleiden kann, wie ich will.« Bobby seufzte.
»Aber Sie wissen doch bestimmt, daß unzählige junge Frauen, Frauen Ihres Alters, genauso empfinden. Mein Gott, sogar in den 106
Kriminalromanen kommen sie heutzutage vor.«
»Die allerdings meist von älteren Damen geschrieben sind, die einen Ehemann und ein gepflegtes Heim haben.«
Kate lachte. »Da mögen Sie recht haben. Trotzdem, Sie sind keine Außenseiterin. Frauen wie Sie können heute sie selbst sein. Warum sich nicht einfach damit zufriedengeben? Reed findet Sie
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