Spionin in eignener Sache
liebe Gott weiß, wieso ich jetzt in diesem Auto sitze.«
»Tut mir leid.« Bobby sah kurz zu Kate hin. »Also: Wir besuchen das Gefängnis regelmäßig am Mittwochnachmittag; bis zum Montag davor müssen wir der Verwaltung eine Liste der Mandanten geben, die wir aufsuchen wollen. Danach können wir nicht noch irgendwen Beliebigen mit auf die Liste setzen. Daß Sie heute nachmittag hindürfen, hat uns eine Menge Überredungskunst gekostet und ist letzten Endes nur gelungen, weil man Reed einen Gefallen tun wollte. Er hat wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit Sie Betty Osborne so schnell wie möglich sehen können. Und wenn ich recht verstehe, tat er es auf Ihren ausdrücklichen Wunsch hin. Deshalb die ganze Hetze. Tut mir leid, wenn Sie sich überrumpelt fühlen.«
Eine Weile fuhren sie schweigend durch die verstopften Straßen in Richtung Brücke. Die wenigen Male, die sich Kate über Manhattan hinauswagte, durch Queens zum Flughafen fuhr, oder, wie heute, durch Brooklyn, wunderte sie sich unweigerlich über den dichten Verkehr und die offenbar nie ausbleibenden Unfälle, die für zusätzliches Chaos sorgten. Wie Kate und Reed fuhr Bobby keinen Automa-tikwagen, so daß sie bei diesem Stop-and-go ständig schalten mußte und bei jedem Tritt auf die Kupplung vor Ungeduld schnaubte.
»Warum sind Sie so still, Bobby?« fragte Kate. »Stumm zu stie-ren, bis es weitergeht, ist ebenso öde, wie einem Topf auf dem Herd zuzusehen, der nicht kochen will.«
103
Bobby, die gerade die Spur wechselte, sagte nichts. Auch auf der neuen, auf der es sofort wieder zum Stillstand kam, schwieg sie weiter.
»Was wissen Sie über Betty Osborne?« fragte Kate. Es schien ihr eine vernünftige Frage.
»Nicht mehr als Sie. Sie erschoß ihren Mann; die Pistole hatte ihr jemand besorgt. Ich bin sicher, Sie wird Ihnen alles genau erzählen.
Wir können ihre Akte nicht einsehen, weil sie nicht unsere Mandantin ist. Aber vielleicht können Sie ja dafür sorgen, daß sie es wird.
Sie müßten sie halt dazu bewegen, daß sie Reed bittet, sich um eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens zu kümmern. Das kriegen Sie doch bestimmt hin!«
Wieder machte sich Schweigen breit, und ehe es zu beklemmend wurde, ließ Kate ihre Gedanken wandern. Ihr fiel ein, daß sie noch nie über die Verrazano-Brücke gefahren war. Warum auch? Sie kannte ja niemand auf Staten Island. In früher Kindheit war sie einmal mit der Fähre hingefahren, aber nur wegen der Überfahrt. Außer Manhattan, dachte sie, übrigens nicht zum erstenmal, kenne ich bemerkenswert wenig von New York City, tröstete sich dann aber damit, daß sie immerhin mehr von der Innenstadt kannte als die städtischen Angestellten, Polizisten, Feuerwehrleute, Kanalarbeiter und Busfahrer, die meistens irgendwo jenseits der Stadtgrenzen wohnten, manche sogar in New Jersey. Die Polizisten in Japan, hatte sie gelesen, lebten immer mitten in ihrem jeweiligen Revier. Was für interessante Fakten man doch aufschnappt und sich später plötzlich, inspiriert durch einen fremden Ort, an sie erinnert.
Aber dann hatte Kate das Schweigen satt. Sie drehte sich zu Bobby um und sah sie von der Seite an.
»Sie haben sich in Reed verliebt, nicht wahr?« Ihre Stimme blieb so gelassen und freundlich wie möglich. » Wissen Sie, daß ich die Ähnlichkeit zwischen den Worten ›sich Verlieren‹ und ›sich verlie-ben‹ schon immer bemerkenswert fand? Ich meine, genau das passiert doch. Im einen Moment hat man noch festen Boden unter den Füßen, im nächsten verliert man ihn.«
Bobby drehte ihr den Kopf zu und starrte sie so unbewegt an, daß Kate sich am Griff oberhalb der Tür festhielt. »Vorsicht«, rief sie.
»Egal, wie Ihnen im Moment zumute ist, ein Zusammenstoß mitten auf der Verrazano Brücke ist jedenfalls keine Lösung. Achten Sie lieber auf den Verkehr, und wenn Sie unbedingt an was denken müssen, denken Sie an die Häftlinge oder die schrecklichen Leute an der 104
Schuyler.«
»Ich konnte nicht dagegen an«, murmelte Bobby. »Er hat keine Ahnung, das müssen Sie mir glauben. Ich mache meine Verrücktheit mit mir selber aus.«
»Daß er nichts gemerkt haben sollte, würde mich sehr wundern.
Aber er wird es Ihnen und sich selbst ersparen, der Tatsache ins Gesicht zu sehen. So lösen Männer die Dinge, und ich muß zugeben, wenn auch widerstrebend, daß dieser Weg manchmal nicht der schlechteste ist.«
»Es macht Ihnen offenbar nichts aus. Nicht, daß Sie sich irgendwie aufregen müßten…
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