Spionin in eignener Sache
extremem Streß, wie jetzt, muß ich rauchen.«
»Es war doch Ihr Wunsch, mich zu sehen. Wieso sollte es da stressig werden? Ich kenne Leute, die behaupten, daß man ohne den geringsten Streß mit mir reden kann.«
»Ich habe einmal einen Ihrer Kurse besucht. Eine Vorlesung, vor ungefähr zehn Jahren, als ich gerade meinen Magister machte. Was Sie über die Frauen bei Hardy sagten, hat mich sehr beeindruckt.
Daran erinnere ich mich noch genau. Später schrieben Sie ein Buch über ihn. Ich habe es mir gekauft und gelesen. Hardy faszinierte mich – warum, sehen Sie ja.« Sie lachte bitter. »Jetzt bin ich selbst eine von Hardys Heldinnen. Tess, das bin ich. Wir töten die Männer, die uns Unrecht tun. Aber Tess wurde gehängt, nicht wahr? Manchmal wünsche ich mir, sie täten dasselbe mit mir.«
»Wenn Sie vor Selbstmitleid zerfließen, gibt es nicht viel, was ich für Sie tun kann, meinen Sie nicht? So etwas haben sich Hardys Frauen nicht gestattet.«
Betty lachte wieder. Es war ein hohles Lachen. Und zum ersten Mal wurde Kate klar, wie es zu diesem Ausdruck kam. Hohl – weil keine Freude darin war.
»Tja«, sagte Betty, »so steht’s wohl im Drehbuch. Ihre Rolle ist, mir das Rückgrat zu stärken, damit ich die Wiederaufnahme meines Verfahrens beantrage. Die Sache ist nur, daß ich Anwälten gegen-
über ein bißchen mißtrauisch bin -Teufel, ich verachte sie, Anwälte und Ärzte, die ganze Bagage – aber ich dachte, mit Ihnen als Ver-mittlerin könnte ich – na ja, vielleicht kann man wenigstens mal drüber sprechen. Ich bin nicht sehr animierend, wie?«
»Hatten Sie nicht den Plan, weiterzustudieren und zu promovie-ren?«
»Natürlich hatte ich den. Viele Pläne hatte ich! Aber dann lernte ich einen Mann kennen – na, wenn das kein Klischee ist – , wir hei-rateten, ich wurde schwanger, und er begann zu trinken, genauer: fing wieder damit an, wie ich später erfuhr, und er schlug mich.
Sogar während meiner Schwangerschaften und später vor den Kindern. Die alte Leier, nicht wahr? Alt und langweilig und hoffnungslos.«
»Wo sind die Kinder jetzt?«
»Bei seinen Eltern. Sie haben das Sorgerecht und sind eigentlich ganz nette Leute. Wahrscheinlich ist es die beste Lösung so. Da ich ihren Sohn getötet habe, sind sie natürlich nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen, aber das können Sie sich bestimmt denken.«
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»Haben Sie selbst keine Familie, die hätte einspringen können?«
»Nein. Niemanden. Das hier ist jetzt mein Zuhause. So schlimm ist es gar nicht, jedenfalls nicht so schlimm wie für die Frauen, die ihre Babies im Gefängnis bekommen.«
Kate merkte, daß ihr die Worte fehlten, was ihr eigentlich gar nicht ähnlich sah, in letzter Zeit aber überraschend häufig vorkam.
Wahrscheinlich einfach deshalb, dachte sie, weil man heutzutage immer öfter in Situationen kommt, wo es einem die Sprache verschlägt.
»Meinen Sie nicht«, sagte sie schließlich, »Sie sollten versuchen, Ihr Urteil anzufechten? Wenn ich recht informiert bin, stehen Ihre Chancen gut, denn inzwischen ist das Geschlagene-Frauen-Syndrom allgemein anerkannt. Warum bitten Sie Reed Amhearst nicht, Sie als Anwalt zu vertreten, und probieren es?«
»Sie würden das also an meiner Stelle tun?«
»Mein Gott«, explodierte Kate, »ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ich tun würde. Bitte glauben Sie jetzt nicht, ich wäre uneinfühlsam. Das bin ich nicht. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, daß ich bei einem Mann bleiben würde, der mich auch nur ein einziges Mal geschlagen hat. Was natürlich weiter gar nichts sagt. Denn ich verstehe sehr wohl, daß geschlagene Frauen Angst haben, die Opferrolle annehmen und nicht wissen, an wen und wohin sie sich wenden sollen. Was ich damit sagen will: Ich an Ihrer Stelle würde alles, aber auch alles, tun, damit mir mein Leben nicht gestohlen wird.«
»Meine Kinder werde ich nie mehr bekommen.«
»Selbst das ist nicht sicher. Wenn Sie freikommen, muß das Gericht die Sorgerechtsregelung, oder wenigstens das Besuchsrecht, neu überprüfen. Glauben Sie, daß Sie sich inzwischen von ihm befreit haben – im buchstäblichen Sinne haben Sie das natürlich, das meine ich nicht, sondern ob Sie innerlich frei sind von solchen Ab-hängigkeitsverhältnissen zu Männern? Wirklich, Betty, ich finde, wenn Sie sich für eine Figur aus einem Hardy-Roman halten, müssen Sie sich das selbst fragen – und es beantworten.«
»Und würde eine Figur aus einem Hardy-Roman ihr Urteil
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