Spitfire: Kühler Tod
Eingangstür und ein breites Lächeln legt sich auf sein Gesicht. Am liebsten würde ich losrennen und ihm um den Hals fallen, aber die beiden Tüten, die ich schleppe, halten mich davon ab.
Draußen sehe ich ihn einfach nur an. Ich könnte tagelang seine Augen beschreiben. Sie sind braun mit grünen und goldenen Sprengseln. Wie Herbstblätter.
Aber der Augenblick ist rasch verflogen. Plötzlich schwingt die Eingangstür auf und trifft mich im Rücken. »Was zum …«, protestiere ich und drehe mich um. Es ist Irene, die alte Frau, die Menschen mit Hüten anbrüllt und zwanghaft Lichtschalter ableckt. Sie bemerkt uns nicht einmal und wackelt unsicher die Eingangsstufen hinunter.
Nickels und ich lachen und er nimmt mir die Tüten ab. »Was ist das?«, fragt er und führt mich zum Auto.
»Genug Essen, um dich durch die nächsten zwei Tage zu bringen. Zwei Frühstücksburritos, zwei Sandwiches, Hähnchen mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen, Papierteller, Plastikgabeln, eine Rolle Küchenpapier … ach ja, und eine Rolle Toilettenpapier.«
»Damit kommen aber auch zwei Menschen locker über einen Abend. Also mit dem Essen, meine ich.«
»Wäre ich nie drauf gekommen.«
Die Fahrt zu seiner Wohnung dauert nur fünf Minuten. Ich habe die Zeit gestoppt. Mein Blick wandert an dem Gebäude hoch, während wir in das unterirdische Parkhaus fahren. Es ist eines dieser vielen Lofts, die Ende des letzten Jahrhunderts so zahlreich in dieser Stadt erbaut wurden und aussehen wie renovierte Lagerhallen, obwohl es in Wahrheit nigelnagelneue Gebäude und außerdem echte Dotcom-Desaster sind.
Die Innenausstattung ist das reinste Klischee: polierter Betonfußboden, ein moderner Teppich mit miesem Design, der den Ausstellungsraum besser niemals verlassen hätte, ein Mikrofasersofa, ein Mikrofasersessel und eine metallene Wendeltreppe. In der Küche gibt es verzinkte Kochutensilien, eine verzinkte Arbeitsplatte und dazu passende Fliesen. Muss ich noch mehr sagen?
Aber hier fehlt noch irgendwas. Es ist keine einzige Umzugskiste zu sehen, nicht einmal eine schon wieder zusammengefaltete. »Wow! Da warst du aber schnell«, kommentiere ich.
»Eigentlich … ist das hier eine möblierte Bleibe. Ich habe sie für sechs Monate gemietet.«
»Oh, gut«, sage ich hörbar erleichtert.
Nickels ist verblüfft. »Wie? Du magst es nicht?«
»Was kann man denn daran nicht mögen? Ist doch wie aus dem Möbelhaus«, antworte ich, während ich durch das Loft schlendere. »Ich stehe auf harte Sofas und Küchen mit Leichenhallenflair.«
»Leichenhallenflair?« Amüsiert mustert er mich.
»Versteh mich nicht falsch. Ich finde es toll, wenn alte Stadthäuser renoviert und zu Lofts umgebaut werden, solange der Architekt den Charakter des Gebäudes erhält. Aber das hier … ist eine albtraumhafte Kreuzung zwischen Santa-Fe-Style und einer Abfüllanlage.«
Nickels lacht. »Nimm bloß kein Blatt vor den Mund, Tomi. Immer raus damit!«
Jetzt lache ich auch. »Und was hast du mit deinen Möbeln gemacht?«
»Ich habe alles in Virginia gelassen. Was sich jetzt als eine Superidee herausstellt. Du hättest meine Einrichtung gehasst.«
»War alles kaffeefarben und hat perfekt zusammengepasst?«
Nickels grinst. »Eher französischer Landhausstil.«
Schaudernd schließe ich die Kühlschranktür und befestige dann mit Magneten einen Zettel daran.
»Was ist denn das?«
»Ein Spickzettel. Nach zehn Jahren in dieser Stadt weiß man ein paar Dinge und ich gebe meine Erfahrungen an dich weiter.«
Nickels sieht mir über die Schulter und liest. Sein Atem streicht mir über den Hals. Wenn er ein Vampir wäre, würde ich ihn sofort zubeißen lassen.
Der Tomi-Reyes-Ratgeber für das Leben in San Francisco:
Nicht gleich ausflippen, wenn die Luftschutzsirenen dienstagnachmittags losjaulen. Ist nur eine Übung. Wenn es ernst wird, erfährt man das früh genug.
Entweder lernt man die Straßenreinigungszeiten auf den Verkehrsschildern auswendig oder man bekommt eine Menge Strafzettel. Jeder, wie er’s mag.
Die Straßen verlaufen im Allgemeinen von Osten nach Westen.
Die nummerierten Avenues liegen im Sunset- und Richmond-Distrikt und die nummerierten Streets in SOMA und im Mission District.
Man sollte sich merken, welche Ampeln getaktet sind: Oak/Fell, Bush/Pine, Gough/Franklin.
Richmond ist eine Stadt an der Ostküste. Der Richmond District ist ein Viertel in San Francisco.
Vierteldollarstücke sind Gold wert. Man braucht sie für die Wäscherei, fürs
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