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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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geht nicht.«
    »Warum denn nicht?«
    Ihre Augen schimmerten feucht. »Ich darf es nicht«, flüsterte sie und richtete den Blick von mir fort, als hätte sie Angst, ich könnte sie doch noch überzeugen.
    »Wer sollte Ihnen verbieten wollen, mit mir ein wenig zusammen zu sein?«
    »Nun, diese Leute natürlich; die Leute, die mich bezahlen.«
    Eine Zeit lang blieb ich still. »Wie sind Sie zu diesen Leuten gekommen?«, wollte ich wissen. »Zu Arnheim, Santor und wie sie sonst heißen mögen?«
    »Ich kenne nur Arnheim und Hartmann, ja, und diesen Santor, er hat sich mir neulich vorgestellt. Hartmann gab mir Geld und ich musste ein paar Dokumente unterschreiben – natürlich auch, dass ich mich verpflichte zu schweigen –, wahrscheinlich rede ich jetzt schon wieder viel zu viel.«
    »Wofür werden Sie bezahlt? Ich verspreche Ihnen, dass ich nichts verrate, ich schweige über alles. Schließlich bin ich Ihr Anwalt!«
    »Wofür? Ach nun«, wich sie mir aus, »Sie haben es doch selbst gesehen – für derlei Sachen eben.«
    »Für sexuelle Darbietungen?«
    »So kann man sagen.«
    »Diese Veranstaltung, bei der ich zugegen war: Was ist da passiert?«
    Sie zuckte die reizenden Schultern. »Es war wirklich nicht schlecht«, sagte sie und lächelte zart. »Außerdem war es Teil meiner Ausbildung.«
    »Was für eine Ausbildung?«
    »Meiner Ausbildung zur Priesterin.«
    »Priesterin? Aha, ich verstehe!« Aber eigentlich verstand ich nichts.
    Sie weidete sich eine Weile an meiner Ratlosigkeit und setzte hinzu: »Im alten Ägypten kamen die Männer auf der Suche nach spiritueller Ganzheit zu den Priesterinnen des Tempels, die mit ihnen den Liebesakt vollzogen und den Männern durch die körperliche Vereinigung zur Erfahrung des Göttlichen verhalfen.«
    »Hat man Ihnen das erzählt?«
    »Es wird schon stimmen.«
    »Manche bezeichneten diese Frauen als Priesterinnen, andere haben sie – verzeihen Sie das derbe Wort – Tempelhuren genannt.«
    Falls ich befürchtet hatte, sie würde mir meine Bemerkung übel nehmen, hatte ich mich getäuscht. »Das ist das Gleiche«, sagte sie ruhig. »Ich empfinde das Wort Hure nicht als Schimpfwort, wenn auch manche Leute, die nichts davon wissen, es so verstehen. Damit ich Männern diese Erfahrung verschaffen kann, muss ich sie zunächst selbst erleben. Genau darum ging es an jenem Abend. Und wenn mir ein Mann nicht gefällt, dann muss ich es mit ihm nicht tun. Das ist so vereinbart.«
    Ich raufte mir im Geiste die Haare. Was für ein himmelschreiender Unfug! Doch was kümmerte es mich! Hure oder Priesterin! Ich wollte nur die Chance nutzen, die der gegenwärtige Moment mir bot.
    »Veronika, mit Ihnen zusammen zu sein«, flüsterte ich, da ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, sie umzustimmen, »auf die ganz normale Art, das wäre mir Göttlichkeit genug. Veronika, was, wenn wir nun ohne diesen Lehrer beginnen? Was später kommt, das werden wir ja sehen, es muss niemand erfahren, wenn wir vorher – ein wenig Spaß miteinander hatten.«
    Sie senkte den Blick und betrachtete nachdenklich ihr Champagnerglas. Ich spürte, dass ich sie fast auf meiner Seite hatte, umarmte sie und legte meine Hand auf ihre reizende nackte Schulter.
    Das Lokal war etwas voller geworden; dennoch waren die meisten Tische unbesetzt, kaum jemand tanzte. Ich beobachtete einen Zeitungsjungen, der vor Kurzem das Lokal betreten hatte und der ungewöhnlich viele Exemplare seines Abendblattes an die Gäste absetzen konnte. Als er an unseren Tisch kam, wollte ich ihn eigentlich fortschicken, kaufte aber aus einer plötzlichen Laune heraus doch ein Exemplar.
    ›Hitler Reichskanzler!‹, lautete die Schlagzeile, die mir auf dem Titel entgegensprang. Zwei Worte, die wie feurige Signale waren. Ich blieb stumm, starrte auf die Schlagzeile und dachte an nichts.
    »Haben Sie es noch nicht gehört?«, hörte ich etwas später Veronikas Stimme neben mir.
    Schließlich blickte ich zu ihr auf. »Nein, was denn?«
    »Na, was da steht – dass Hitler das Oberhaupt der neuen Regierung ist. Deshalb feiern wir doch!«
    »Ach so? Dann stimmt es also wirklich?«
    »Glauben Sie etwa, die Zeitung lügt?«
    Etwas Gespenstisches, das schon lange am Rande meines Begreifens gelauert hatte, brach sich machtvoll in mir Bahn und hinterließ einen Zustand grenzenloser, chaotischer Verwirrung.
    »Es ist kaum zu glauben!«, kam es über meine Lippen.
    Ich erinnerte mich, dass während der vergangenen Woche eine merkwürdige Stimmung in der Luft

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