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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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unschuldigen Augenaufschlag richtete sie den Blick auf mich. »Zu Ihnen komme ich viel lieber. Sie haben mir gleich gefallen – neulich in Herrn Arnheims Haus, wo ich Sie das erste Mal sah.«
    Einen Augenblick war ich bemüht, mich in Zurückhaltung zu üben, doch im Bruchteil einer Sekunde setzte sich der Teil in mir durch, der ein Mann mit Sehnsüchten war. Ich warf mit einem Mal alle Bedenken beiseite.
    »Mir ist es mit Ihnen nicht anders gegangen. Sie sind eine wunderschöne Frau.«
    Sie lächelte und legte ihre rechte Hand an die Stelle, wo der Pelzkragen ihres Mantels die zart schimmernde Haut über dem Brustbein berührte. »Da haben Sie recht«, hauchte sie. »Deshalb möchte ich auch geschieden werden. Die Ehe ist nichts für mich; ich bin keine Frau nur für einen Mann.«
    Ihre Forschheit mochte zwar ihrem Naturell entsprechen, dennoch dämmerte mir langsam die Erkenntnis, dass sie mich kaum aus eigenem Antrieb aufgesucht haben konnte, und mich beschlich der Gedanke, dass sie ein Lockvogel der ›Brüder und Schwestern‹ war, gekommen, um mir irgendein Angebot zu unterbreiten.
    »Dann wollen wir uns mit dem Scheidungsantrag befassen«, sagte ich. »Dazu benötige ich von Ihnen verschiedene Angaben, meine liebe …«, ich blickte hinunter auf die Heiratsurkunde, »meine liebe Frau Möller.«
    »Bitte, nennen Sie mich nicht Frau Möller!« Sie schüttelte den knabenhaft frisierten Kopf. »Für solche Förmlichkeiten kennen wir uns bereits viel zu gut! Hartmann hat mir berichtet, dass Sie neulich auch auf der Versammlung waren. Bestimmt haben Sie mich nicht vergessen! Wir sind doch sozusagen unter uns. Ich bin Veronika. Darf ich Sie nach Ihrem Vornamen fragen?«
    »Mein Vorname ist Eugen.«
    »Dann möchte ich Sie gern Eugen nennen – obwohl Sie fast doppelt so alt sind wie ich. Darf ich?«
    »Meinetwegen. Also dann, liebe Veronika – zu den Formalien.«
    Sie lächelte und nickte zufrieden, ich stellte ihr ein paar Fragen und notierte mir ihre Antworten auf ein Blatt Papier.
    Sie blinzelte mich an. »Sicher sind Sie selbst verheiratet, Eugen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was Sie vor sich haben, das habe ich bereits hinter mir.«
    Sie pfiff leise durch die Zähne. »Demnach könnten wir sogar zusammen ausgehen.«
    »Ist das ein Angebot? Falls ja, komme ich gern einmal darauf zurück.«
    »Oh«, lächelte sie, »ich dachte nicht an eine Verabredung für später.«
    »Nicht? Schade! Da habe ich wohl etwas falsch verstanden.«
    Ihre blauen Augen leuchteten unverfroren, und sie strich mit der Hand auf dem Mantel vom Ausschnitt bis in den Schoß hinab. »Sie haben mich schon richtig verstanden, aber ich dachte nicht an später, sondern an – jetzt! An heute Abend zum Beispiel – da hätte ich Zeit für Sie!«
    Sie blickte auf die schmale Uhr, die ihr formvollendetes Handgelenk zierte. »Sie müssen auch einmal Feierabend machen. Es ist fast fünf. Das ist nicht zu früh, um auszugehen – vielleicht in eine Bar, um ein wenig zu feiern?«
    »Was wollen wir denn feiern?«, fragte ich und dachte bei mir, dass der Trick, einen Mann mit einer schönen Frau zu ködern, doch immer funktionierte, selbst dann, wenn der Mann diesen längst durchschaute. Eine Frau wie Veronika würde nahezu jeden Mann verführen können, es war alles nur eine Frage der Zeit, bis auch der tugendhafteste meiner Geschlechtsgenossen einer solchen Verführung erlag. Warum nicht gleich nachgeben?
    »Sie haben recht«, sagte ich daher, ohne auf eine Antwort zu warten, während die Erinnerung an die Liebesszene in dem geheimen Haus meinen Pulsschlag erhöhte. »Lassen Sie uns irgendwo etwas trinken gehen.«
    Sie strahlte mich an. »Sind Sie mit der Prinzenbar einverstanden? Die haben bereits geöffnet. Ich bin dort bekannt. Möchten Sie uns nicht ein Taxi rufen?«
    »Wir werden draußen schon eines finden! Gut, wir brechen gleich auf!«
    Das Taxi, das wir bestiegen, fuhr uns durch den Berliner Abend nach Westen, während wir nebeneinander im Fond des Wagens saßen. »Es ist kalt«, flüsterte sie und schmiegte sich eng an meine Seite. Vorsichtig legte ich meinen Arm um ihre Schulter.
    »Sie sind viel zu dünn angezogen«, murmelte ich und ertastete durch den Mantel ihren schlanken Rücken. »Sie haben ja nichts auf den Rippen. Sie werden sich noch eine Lungenentzündung holen.«
    »Ich nicht!«, erwiderte sie. »Ich bin gesund. Sie wissen doch: Wer schön sein will, muss leiden.«

    Die Wände des Lokals, das Veronika für uns ausgesucht

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