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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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sich ihr Blick.
    »Sie haben es gehört, Eugen! Leider klappt es heute nicht mit uns beiden – die Politik ist uns dazwischengekommen, es ruft mich die Pflicht!« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Leider«, sie trat dicht an mich heran und gab mir einen Kuss, »ist der rechte Zeitpunkt für unseren ersten Schritt noch nicht gekommen. Es scheint, wir müssen uns ein wenig gedulden.«
    Sie entzog mir ihre Hand und drehte sich fort. Hartmann hob den Hut und zwinkerte mir mit einem triumphierenden Grinsen zu, dann folgte er Veronika, die sich bereits zum Gehen gewandt hatte. Mit einer Mischung aus schmerzlicher Ohnmacht und grenzenloser Wut sah ich dem reizenden Mädchen und dem Widerling, der es entführte, hinterher.

21
    Wenn man es genau nahm, hatte dieser letzte Montag im Januar lediglich einen Regierungswechsel gebracht, trotzdem war der Eindruck weit verbreitet, dass das Ereignis mit den Kabinettsneubildungen früherer Jahre nicht zu vergleichen war.
    »Der Narr von Papen hat allen Ernstes geglaubt, er hätte sich unseren Hitler eingekauft, damit dieser ihm den Weg zur Rückkehr an die Macht ebnen würde«, sagte mein Kollege Haller mit einem vergnügten Kopfschütteln, als er sich mit mir über die neue Regierung unterhielt. »Dieser Herrenreiter ist wirklich ein seltenes Abbild von Doofheit. Es wird nicht lange dauern, bis dieser Vizekanzler von der politischen Bühne verschwunden ist.«
    »Mich wundert, dass General Schleicher so schnell bereit war, sein Amt zur Verfügung zu stellen«, äußerte ich. »Ich war in dem Glauben, Schleicher hätte eher einen Militärputsch riskiert, als einen Kanzler von Papens Gnaden zuzulassen.«
    »Papen und Schleicher hassen sich so sehr, dass sie eher Hitler als dem jeweils anderen die Kanzlerschaft gegönnt hätten«, meinte Haller. »Die alte Geschichte: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.«
    »Und der Reichspräsident? Was hat ihn bewogen, Hitlers Kanzlerschaft entgegen allen früheren Bekundungen nun zu akzeptieren?«
    »Was blieb ihm denn übrig, wenn er es weder Papen noch Schleicher recht machen konnte? Es gab ja das Gerücht, die Potsdamer Garnison marschiere, von Schleicher und den Generälen alarmiert, auf die Hauptstadt los, und rasches Handeln tue not, wenn man einen Staatsstreich verhindern wolle. Wahrscheinlich ist an dieser Geschichte nichts Wahres dran, aber sie hat ihre Wirkung auf den Präsidenten offenbar nicht verfehlt. Außerdem soll Oskar von Hindenburg umgeschwenkt sein. Er teilt ja Papens Hass auf Schleicher wie kein zweiter und steht dem Reichspräsidenten nun einmal so nahe wie keiner sonst in seiner Umgebung, Papen eingeschlossen. Es wird gemunkelt, er habe sich für Hitler ausgesprochen, nur um Schleicher zu stürzen. Das soll schließlich beim Alten den Ausschlag gegeben haben.«
    Gestreute Gerüchte, geflüsterte Kontakte, schlimme Ratgeber unterschiedlichster Couleur – was auch immer den letzten Ausschlag gab, ich hatte den Einfluss Santors und die Gefährlichkeit der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern‹ sicherlich unterschätzt.
    Eine Woche nach dem Regierungswechsel begegnete mir Theodor Hartmann im Anschluss an einen Verhandlungstermin auf dem Flur des Berliner Landgerichts. »Die neue Regierung wird die deutsche Anwaltschaft darin unterstützen, das übermächtig gewordene jüdische Element in unseren Reihen zurückzudrängen«, redete Hartmann gut gelaunt auf mich ein, »damit endlich alle deutschen Anwälte wieder genug Arbeit haben, um ihre Familien ernähren zu können. Na, wie finden Sie das, Herr Kollege?«
    »Ich hoffe sehr, dass die wirtschaftliche Not vieler Kollegen ein Ende findet«, antwortete ich vage.
    »Wird sie, wird sie. Zumindest für diejenigen, die die Zeichen der Zeit richtig verstehen. Die anderen werden sich noch wundern, und glauben Sie mir, einige Leute werden eine böse Überraschung erleben. Am besten Sie sorgen dafür, dass Sie zu den Ersteren gehören.«
    Er kam etwas näher und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: »Herr Goltz, ich spreche zu Ihnen nicht wie zu irgendeinem arischen Kollegen, sondern wie zu einem Gleichgesinnten und Vertrauten, der Sie doch spätestens in ein paar Wochen – auch offiziell – sein werden. Kann ich nun auf Sie zählen?«
    »Es wird sich alles finden«, sagte ich ausweichend, »immerhin habe ich inzwischen eine Reihe angenehmer Kontakte knüpfen können, nicht nur zu Ihnen oder Herrn Santor, sondern auch zur Damenwelt.«
    »Ich habe es bereits bemerkt«,

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