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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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unterbrach mich Hartmann. »Wo Sie das Thema gerade anschneiden: Ich sprach jüngst mit der kleinen Veronika. Sie bat mich, Ihnen auszurichten, das Scheidungsverfahren einstweilen ruhen zu lassen. Sie wird sich bei Ihnen melden, wenn es weitergehen soll!«
    Ich fühlte mächtigen Ärger in mir aufsteigen. »Warum sagt sie mir das nicht selbst? Sie muss es mir persönlich mitteilen – oder mir schriftlich geben. Das brauche ich Ihnen nicht zu erklären!«
    Hartmann lächelte. »Sie können es gern schriftlich von Veronika bekommen, mein lieber Herr Goltz. Aber, und ich sage Ihnen das nur ein einziges Mal, damit wir uns nicht missverstehen: Veronika ist gewissermaßen unsere Kreation. Sie gehört uns und sie tut, was wir ihr sagen. Arnheim, der ständig auf der Suche nach schönen Mädchen ist, hat sie in einer schlimmen Kneipe im Wedding aufgegabelt. Erst wir haben aus ihr gemacht, was sie heute ist. Wenn wir also zu ihr sagen, das Scheidungsverfahren ruht, dann ruht das Scheidungsverfahren so lange, wie wir es für richtig halten. Sie sollten übrigens nicht versuchen, mit Veronika in Kontakt zu treten. Es ist ihr untersagt, Sie ohne unsere Einwilligung aufzusuchen oder auch nur mit Ihnen zu telefonieren.« Seine Stimme wurde leiser. »Und es könnte nicht nur für Sie selbst, sondern gleichermaßen für das arme Mädchen von Nachteil sein, wenn unseren Anweisungen zuwidergehandelt wird. Das wollen Sie doch nicht, oder?«
    Er legte mir in einer scheinbar jovialen Geste die Hand auf die Schulter. »Ich will unserer bildhübschen Freundin aber gern einen Gruß von Ihnen ausrichten. Veronika wird sich sicherlich darüber freuen!«
    Ich erwiderte nichts. Daraufhin hob Hartmann die Hand zu einer militärisch anmutenden Geste, wandte sich kurz darauf ab und schritt davon.
    Leute wie Hartmann, die früher nicht viel zu melden hatten, verspürten nun Rückenwind, hatten Oberwasser bekommen und anstatt sich in Bescheidenheit zu üben, stellten sie ihre neue Bedeutung, die sie unter den aktuellen Gegebenheiten mit Sicherheit überschätzten, auch noch ostentativ heraus. Es ärgerte mich, gleichwohl dämmerte es mir auch, dass ich gut daran täte, einige Gewichtungen zu verändern oder sie am besten gleich miteinander zu vertauschen.
    Zügig, wenn auch ohne Eile, begann in diesen Februartagen etwas Neues und schwand das Altbekannte dahin. Eine Verordnung ›Zum Schutze des deutschen Volkes‹ erteilte der Regierung das Recht, politische Veranstaltungen sowie Zeitungen und Druck-Erzeugnisse der konkurrierenden Parteien mit den unbestimmtesten Begründungen zu verbieten. Als Argument zerrte Hitler eine kritische Berichterstattung über Richard Wagner hervor und drohte all jenen, die ›Deutschland bewusst schädigen wollten‹ mit drakonischen Maßnahmen. Ein Kongress linker Intellektueller und Künstler in der Krolloper wurde kurz nach Beginn wegen angeblicher atheistischer Äußerungen abgebrochen. Zwei Tage später wurde durch eine weitere Notverordnung die Auflösung des preußischen Landtags verfügt, nachdem ein entsprechender Versuch auf parlamentarischem Wege gescheitert war.
    Mitte Februar hatte Judith Singer Geburtstag. An diesem Tag bekam ich eine Kostprobe der Überraschungen, die dem deutschen Volk noch bevorstehen mochten. Judith hatte zu einer Dinnerparty geladen und ihre Gäste im sogenannten Musikzimmer ihrer kleinen Dahlemer Villa versammelt. Es war ein Zimmer, das fast das ganze Erdgeschoss einnahm. Überall in dem von Tageslicht durchfluteten Raum standen die Leute in kleinen Gruppen beisammen, plaudernd, Cocktailgläser und Teller mit Kuchen balancierend, das ganze Bild in ständiger Bewegung.
    Mehrere von Judiths Gästen waren Diplomaten, darunter ein ägyptischer Gesandter, der seinen Diener mitgebracht hatte. Dieser Diener hatte sich an der Tür zur Straße postiert, möglicherweise weil dies der Punkt der Wohnung war, von dem aus er den besten Überblick hatte.
    Der Empfang hatte seit dem Eintreffen des letzten Gastes keine ganze Stunde gedauert, als ich aus nächster Nähe mitbekam, wie der Diener des Diplomaten, der unter seiner dunklen Hautfarbe erblasste, auf Judith zutrat und ihr leise sagte: »Gnädige Frau müssen herauskommen, großes Unglück!«
    Judith blickte auf und folgte dem Ägypter hinaus. Die anderen in der Runde, von denen nur die Wenigsten die Worte des Dieners richtig mitbekommen hatten, blieben zurück; allerdings trat in der Unterhaltung eine Pause ein, das Wortgeplänkel flaute

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