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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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    Kein Zweifel! Das Gedicht war in all seinen Teilen die unmissverständliche Warnung vor einem falschen Propheten, und die Tatsache, dass Doris und Rudolf, meine nächsten Verwandten, diese Warnung nicht nur in den Wind schlugen, sondern die Bestrebungen, mit denen der vermeintlich richtige Mann auf der Bühne der Geschichte erschien, guthießen und unterstützen, besaß etwas Unheimliches und Verstörendes für mich. Das Böse tun, weil es das Böse ist – diese Maxime beflügelte neuerdings eine ganze Reihe unterschiedlichster Leute.
    In der Nacht vor der Abreise ging ich ein wenig beunruhigt zu Bett, sagte mir allerdings, dass alles zu meinem Besten vorbereitet war und ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Als der Morgen anbrach, merkte ich, dass eine Art Ruhe über mich gekommen war und dass ich den Ereignissen des Tages, was auch immer sie mir brächten, mit einer gewissen Gelassenheit entgegensah.
    Der Tag meiner Abreise aus Deutschland fiel auf den Rosenmontag, aber von Faschingsstimmung war in ganz Berlin nichts zu bemerken. Es war kalt, mit Temperaturen am Gefrierpunkt und einem unangenehmen Wind, der von Osten ging. Vom Frühling war nicht einmal ein erster zarter Hauch zu spüren. In meiner Kanzlei herrschte strenge Sachlichkeit, und ich konnte den Tag wie jeden anderen Arbeitstag beginnen.
    Ich diktierte Frau Schmitz mehrere Schreiben und Schriftsätze an Mandanten, Gerichte und Behörden, empfing etwas später einen älteren Herrn, der sich nach 40 Ehejahren von seiner jüdischen Gattin scheiden lassen wollte. In den folgenden Stunden war ich so in meine Arbeit eingebunden, dass ich überhaupt keinen Gedanken daran verschwendete, dass dieser Tag mein letzter in diesem Büro sein sollte.
    Ich würde eine Art längeren Urlaub antreten, hatte ich mir in den vergangenen Tagen erfolgreich einzureden versucht, und an dieser Anschauung hielt ich auch in den letzten Stunden in meiner Heimatstadt fest. Tatsächlich kam die Überzeugung von einer Reise, auf die eine Rückkehr erfolgen würde, meiner Vorstellung und Erwartung ziemlich nahe.
    Erst als ich mir zu später Mittagsstunde eine kleine Pause gönnte, ein Butterbrot aß und eine Tasse Kaffee trank, kam ich nicht länger umhin, wieder an das Besondere dieses Tages zu denken und daran, dass eine Rückkehr nicht vorgesehen war. So begann mir nun doch das Herz ein wenig schwer zu werden, sodass ich mir ob der vor mir liegenden neuen und unbekannten Herausforderungen Mut zusprechen musste.
    In meinem Büro war es ruhig geworden. Vor mir auf dem Tisch lag zwar noch eine aufgeschlagene Akte, aber ich arbeitete nicht mehr, sondern hing untätig meinen Gedanken nach. Alle Arbeit, die ich hatte erledigen wollen, war nun getan.
    Kurz vor vier Uhr wurde mir ein Telefonanruf durchgestellt.
    »Vergangene Nacht ist mir etwas eingefallen«, ließ sich Pfarrer Grüttner aus dem Internat des Heiligen Vinzenz von Paul am anderen Ende der Leitung vernehmen, »möglicherweise ist es nicht von Bedeutung, jedoch wollte ich nicht versäumen, Sie zu unterrichten. Also –«, er machte eine Pause und fuhr dann leiser im Ton, dafür umso nachdrücklicher fort, »sie haben einmal von einem Hotel gesprochen, Irene und Roland Olden, einem Hotel irgendwo in Mitte, in der Gegend um den Spittelmarkt. Leider weiß ich den genauen Namen nicht; allerdings meine ich mich zu erinnern, dass er mit einem ›A‹ begann und am Ende ›Hof‹ stand. Ich habe selbst im Telefonverzeichnis geblättert. Es gibt in Mitte den Adlerhof und den Aranerhof. Hilft Ihnen das weiter?«
    »Ja«, sagte ich mechanisch, »das wird mir wahrscheinlich helfen. Auf jeden Fall ist es eine Spur. Ich werde mich darum kümmern. Vielen Dank für den Hinweis, Herr Pfarrer! Gibt es sonst noch irgendetwas?«
    »Nein, das war alles, was ich Ihnen mitteilen wollte.«
    »Ich danke Ihnen vielmals für den Anruf!« Ich legte den Hörer auf und lehnte mich zurück.
    Grüttners Anruf kam mindestens einen Tag zu spät und konnte mir demzufolge nicht mehr helfen, denn das war nun alles vorbei! Trotzdem kam ich ins Grübeln. Aranerhof? Hatte ich diesen Namen nicht schon einmal gelesen oder gehört? Ob ich auf einem meiner Spaziergänge daran vorbeigegangen war und den Namen, ohne es recht zu bemerken, registriert und gespeichert hatte? Nein, dachte ich dann, das Letztere war es nicht: Ich kannte diesen Namen bereits länger.
    Es war zwar nicht mehr wichtig, aber ich nahm trotzdem das Telefonbuch zur Hand, um einmal

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