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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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gegossen, die heilige Gertraude, die Schutzgöttin der Reisenden, stand. Auf dem Denkmal erquickte sie einen fahrenden Gesellen mit Wasser aus einem Krug. Von der Brücke hatte man einen weiten Blick auf die Läden und die vielstöckigen Geschäftshäuser der Gertraudenstraße. In der Ferne war der schmale gotische Turm der Petrikirche zu sehen.
    Auf einmal blieb ich stehen und stand wie erstarrt.
    »Kaum mehr als 500 Meter …«!
    Etwas blinkte über dem schwarzen Wasser der Spree. Ich legte die Hand an die Brüstung neben dem Denkmal und schaute auf die Wasseroberfläche, konnte aber nicht erkennen, was das Blinken verursacht hatte.
    »Kaum mehr als 500 Meter von Ihrer Kanzlei entfernt …«!
    Das dunkle Wasser wirkte eiskalt und war dennoch nichts gegen die Eiseskälte, die mir den Rücken heraufgekrochen kam und mir dann seicht und höhnisch die Haare in die Höhe strich. Säuselnd klang es in meinem Ohr: »Kaum mehr als 500 Meter von Ihrer Kanzlei entfernt, … da liegt das Hotel, in dem ich übernachte, wenn ich in der Hauptstadt bin! Es heißt Aranerhof!«
    Ich löste mich aus der Erstarrung, nahm den Blick vom schwarzen Wasser und verließ die Brücke. Der Boden unter meinen Füßen schien zu schwanken. Ich wusste jetzt, wer den kleinen Professor Wolfrath auf dem Gewissen hatte.
    Von der nächsten Straßenecke aus konnte ich das Gebäude sehen, in dem sich das Hotel befand. Es erhob sich schräg gegenüber in den grauen Spätnachmittag und war wie die anderen Häuser der Reihe ein vielstöckiger, klassizistischer Bau. Ein sich würdevoll und monumental gebender alter Kasten, der hinter seiner beeindruckenden Fassade dennoch etwas so Böses ausstrahlte, dass sich mir für ein paar Momente die Kehle zuschnürte.
    In diesem Moment kam mir ein Gedanke, ein unheimlicher Verdacht. Konnte es sein, stieg es in mir auf, dass es sich bei dem Hotel um das Haus handelte, nach dem ich seit Wochen suchte, um dasselbe Gebäude? Ich erinnerte mich an den Saal, in dem die makabre Einweihungszeremonie stattgefunden hatte, und an die Bibliothek, in der ich Santor begegnet war. Konnten sich denn solche Räume nicht auch in einem Hotel befinden?
    Die Hotelhalle war nahezu leer, was in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem Eindruck zur äußeren Fassade des Hauses stand; die Bar an der Seite war verwaist. Ich sah weißen Marmor, auf dem dicke, bunte Teppiche lagen, auf den Tischen an der Seite standen Blumen. Es war ein kleines Hotel, aber eines der gehobenen Klasse. Ein Bote, der Zeitungen ablieferte, ging durch die Halle.
    Der Portier an der Rezeption war mittleren Alters und grüßte, sowie er mich erblickte, mit der freundlichen Selbstverständlichkeit, die seiner Zunft angeboren schien.
    »Der Herr«, fragte er mit stoisch freundlichem Augenaufschlag, »benötigen ein Zimmer?« Unter seinen Augen zeichneten sich kaum sichtbare kleine Schatten ab, so als wäre er schon seit der vergangenen Nacht im Dienst.
    »Nein, vielen Dank«, erwiderte ich. »Ich bin mit einem Ihrer Gäste verabredet – einer Frau von Tryska.«
    »Sehr wohl, der Herr!«, sagte er und begann, in einem vor ihm auf dem Tresen aufgeschlagen liegenden Belegbuch zu blättern.
    Ohne eine Miene zu verziehen, stieß er auf einen Eintrag, nahm den Telefonhörer zur Hand, wählte eine Nummer und hatte kurz darauf eine Verbindung hergestellt. Er lauschte eine Weile, nachdem er meine Worte weitergegeben hatte, und indem er den Hörer wieder auflegte, wies er mit der Hand in die Richtung, wo sich das Treppenhaus und ein kleiner Fahrstuhlschacht befanden.
    »Die Dame erwartet Sie. Zimmer 28 im zweiten Stock.«
    Ich hätte überrascht sein sollen, war es aber nicht.
    »Ach, sagen Sie«, erkundigte ich mich bei dem Portier, »wie viele Etagen hat das Hotel?«
    »Etagen? Drei – ja!« Er nickte und hatte wohl in Gedanken noch einmal nachgezählt.
    »Und was befindet sich darüber, im vierten und fünften Stock?«
    Der Portier sah mich eine Weile stumm an. »Das dürfen Sie mich nicht fragen.«
    »Wissen Sie es denn nicht?«
    Er zuckte die Schultern. »Ich war noch nie dort oben. Die oberen Etagen gehören nicht zum Hotel.«
    In diesem Moment wurde es mir zur Gewissheit, dass die oberen Etagen der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern vom Licht‹ gehörten.
    Ich benutzte nicht den Fahrstuhl, sondern ging zu Fuß in den zweiten Stock hinauf.
    Der Gang war breit, tief und leer und mit einem roten Teppich ausgelegt. Zwei goldene Lettern auf weißem Hintergrund bildeten

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