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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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die Zahl 28, goldfarben war auch die Klinke, die ich niederdrückte, als ich auf mein Klopfen von innen laut und deutlich den Ruf »Herein!« vernahm.
    Die Frau war allein in ihrem Zimmer und stand mitten im Licht, das von einer Deckenlampe auf sie herabfiel. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm und wirkte jünger und weniger korpulent als bei unserer letzten Begegnung vor einem guten Vierteljahr auf dem Schiff. Mit einem Lächeln, die Hände ineinander verschränkt, schaute sie mich an. Ihr Blick war glänzend und zugleich prüfend, und so, dass man spürte, dass ihr nichts entging.
    »Was für eine angenehme Überraschung, Herr Goltz!«, sagte Frau von Tryska. »Ich hatte selbst des Öfteren daran gedacht, Sie zu besuchen. So treten Sie doch näher!«
    Sie löste die Hände aus der Verschränkung und hielt mir in einer hoheitsvollen Geste die Rechte hin, ein dickes goldenes Armband umspannte das kräftige Handgelenk. Sie wirkte nicht verunsichert, jedoch konnte ich sehen, dass tief in ihrem Lächeln etwas Falsches war.
    »Ein wenig wundert es mich, Sie schon wieder in Deutschland zu sehen«, forderte ich sie heraus. »Hatten Sie nicht vorgehabt, mehrere Monate in den Vereinigten Staaten zu bleiben? In Cleveland, Ohio?«
    »Unerwartete Umstände haben meine Planung durcheinandergebracht«, lächelte Frau von Tryska süffisant und drückte meine Hand. »Tatsächlich hielt ich mich nicht einmal einen Monat in den Vereinigten Staaten auf. Kommen Sie, wir wollen uns setzen. Möchten Sie auch ein Glas Wein?«
    Die Einrichtung des Zimmers bestand aus massiven dunklen Möbeln, schweren bodenlangen Vorhängen und dunkelroten Teppichen, sodass ich den Eindruck bekam, mich in einem britischen Klub des 19. Jahrhunderts zu befinden.
    »Verzeihen Sie die Frage, haben Sie wirklich eine Tochter in Cleveland, Ohio?«
    Sie nahm die Weingläser von einer Anrichte und stellte sie zusammen mit einer geöffneten Flasche auf den Tisch.
    »Natürlich. Ich habe sie auch wirklich besucht«, sagte sie, während sie den Wein in die Gläser einschenkte. »Allerdings blieb ich nur eine Woche.«
    Sie wählte einen der Sessel, ich setzte mich in den anderen auf der gegenüberliegenden Tischseite.
    »Stoßen wir auf unser Wiedersehen an!«, flötete sie mir zu und hob das Glas. »Wie schön, dass wir ein paar Reiseerinnerungen austauschen können.«
    Unsere Gläser klirrten aneinander.
    Ich fragte: »Sie denken gern an diese Reise zurück?«
    »Sie war ein voller Erfolg«, antwortete sie. »Ich habe sie in guter Erinnerung behalten.«
    »Erfolg? Sie sind also nicht nur wegen Ihrer Tochter nach Amerika gefahren?«
    »Ich dachte eben nicht an meinen Aufenthalt in Ohio, der nett gewesen ist, sondern an den Teil meiner Reise, der endete, als ich in New York in den Zug nach Cleveland stieg. Sie werden inzwischen wissen, dass ich zudem aus einem anderen Grund nach Amerika fuhr – ebenso wie alle anderen, die zu unserer Reisegruppe gehörten.«
    »Erinnern Sie sich an Professor Wolfrath? Ich meine den kleinen Herrn, der nach dem letzten Abendessen an Bord an unseren Tisch kam?«
    Ihre Augen wurden schmale Schlitze. »War er nicht ein Jude? An Juden verschwende ich für gewöhnlich keine Gedanken.«
    »In diesem besonderen Fall vielleicht doch! Er hat die Reise nicht überlebt.«
    Sie schüttelte gemächlich den Kopf, als gebiete sie sich selbst, mit mir in dieser Frage nachsichtig zu sein.
    »Mich wundert, dass Sie wegen eines Juden so viel Aufhebens machen«, sagte sie. »Für ein zukünftiges Mitglied der ›Brüder und Schwestern‹ ziemt sich das nicht.«
    Es war mein letzter Abend in Berlin. Noch in dieser Nacht würde ich aus der Stadt verschwinden, und das zwang mich nicht nur, die mir verbleibende Zeit nach Möglichkeit zu nutzen, sondern erlaubte mir gleichermaßen, weniger rücksichtsvoll zu sein.
    »Verlange ich zu viel, wenn ich frage, weshalb er sterben musste?«
    Sie blinzelte mich an. »Wissen Sie es denn nicht? Er hat seine Nase in Angelegenheiten gesteckt, die ihn nichts angingen. Vor allem war er drauf und dran, großes Unheil anzurichten. Wenn wir ihn nicht gestoppt hätten, wäre das Ziel unserer Reise gefährdet gewesen, ja, vermutlich gar vereitelt worden.«
    »Wer hat zu Ihrer Reisegruppe gehört?«
    »Roland und Irene Olden und meine Wenigkeit. Wir konnten uns natürlich nicht zusammen zeigen, sonst hätte unser Plan zu leicht durchschaut werden können.«
    »Und Gustav Helmholtz?«
    »Helmholtz wusste von unserem Auftrag nichts. Er

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