Spittelmarkt
Spiel gebracht, die unabänderlich ist. Man kann nun sagen, es gibt schlechtes Blut und gutes Blut.«
Irene Varo war an den Tresen getreten und wechselte ein paar Worte mit dem jungen Kellner. Dann sah sie wieder zu uns herüber, mit einem unbestimmten Lächeln auf den schönen Zügen, und bevor sie wegsehen konnte, grüßte ich sie mit einer Handbewegung, als ob wir beide alte Freunde wären. Sie reagierte wie erhofft und warf in einer anmutigen Bewegung den Kopf zurück. Anschließend machte sie zwei, drei Schritte in unsere Richtung und stand gleich darauf neben mir.
»Hatten Sie einen angenehmen Tag?«, erkundigte ich mich.
»Ich habe mich wunderbar erholt«, erwiderte sie mit ihrer hellen Stimme. »Und Sie? Was haben Sie unternommen?«
»Eben war ich im Kino. Es lief ›Der blaue Engel‹.«
»Die Verfilmung des ›Professor Unrat‹? Ich las das Buch – der Schriftsteller selbst schenkte mir einmal ein Exemplar.«
»Der Schriftsteller? Heinrich Mann?«
»Er verkehrte in einem Klub, in dem ich einmal gearbeitet habe.«
Die Band war zu leichten italienischen Klängen übergegangen. Einige Paare hatten das Tanzparkett betreten. Helmholtz war am Tisch ganz und gar mit seinen Karten beschäftigt.
»Tanzen Sie?«, fragte ich. »Darf ich Sie um einen Tanz bitten?«
»Gern«, erwiderte sie und drehte sich sogleich um. So ließ ich den kleinen Professor an der Bar zurück.
Ihre Hand mit den langen Fingern, feingliedrig und elegant, lag warm und prickelnd in der meinen, während ich mit der anderen Hand ihre ranke Taille umschloss. Wir tanzten von Anfang an eng beieinander und gerieten wie selbstverständlich in einen Ablauf gelungener und aufeinander abgestimmter Bewegungen hinein, Bewegungen, die so selbstverständlich und harmonisch waren wie das Strömen des rasch dahinfließenden Wassers.
»Sie haben mir noch nicht gesagt, woher Sie kommen«, sagte sie. Ich antwortete, ich käme aus Berlin, weshalb sie lächelte und mir zuflüsterte: »Da ha’ ick ooch noch een Koffer.«
Diese Worte klangen seltsam aus ihrem Mund, da ich sie mit Vorstellungen von häuslicher Idylle assoziierte, die nicht so recht zu ihrer Schönheit passen wollten.
»In welchem New Yorker Hotel werden Sie nach unserer Ankunft Quartier nehmen?«, befragte mich meine Tanzpartnerin.
»Im Plaza in der Park Avenue. Und Sie?«
»Wenn ich mich nur an den Namen erinnern könnte! Helmholtz hat ihn mir genannt; allerdings bleiben wir auch nur ein oder zwei Nächte in New York und fahren anschließend mit dem Zug weiter nach Westen; es ist wegen der Termine.«
Die Wärme, die Energie, eine gegenseitige Anziehungskraft schien uns beide miteinander zu verschweißen. Ich hatte Raum und Zeit und den kleinen Professor an der Bar vollkommen vergessen und nahm lediglich wahr, dass die Band inzwischen Walzermusik spielte. Während sie sich noch enger an mich drückte, ließ sie ihren Blick immer mal wieder hinüber zu Helmholtz schweifen, doch der Mann war derart in sein aufregendes Spiel mit seinen Tischnachbarn vertieft, dass er überhaupt kein Auge mehr für seine treulose Freundin hatte.
»Obwohl es ja eigentlich schade ist, New York so schnell verlassen zu müssen«, bedauerte sie.
»Es soll eine fantastische Stadt sein«, erwiderte ich, »und deshalb hätte ich Sie gern …« Ich sprach den Satz nicht zu Ende.
»Sie hätten gern was?«, flüsterte sie.
»Ich hätte Sie gern in New York wiedergesehen.«
Ihre Hand schloss sich ein Stückchen fester um die meine.
»Wer weiß?«, sagte sie. »Man trifft sich ja immer zweimal im Leben.«
»Möge sich das auch in unserem Fall bewahrheiten!«
Sie wandte das schöne Gesicht in meine Richtung, sodass sie mir auf diese Weise noch näher kam, und ich spürte unter dem dünnen, grauen Stoff ihrer Kostümjacke die zarten, aber festen Schultern.
»Was werden Sie selbst in New York machen?«, flüsterte sie. »Reisen Sie in Geschäften?«
»Gewissermaßen! Ich bin Anwalt und unterwegs zu Verhandlungen mit einer New Yorker Kanzlei.«
Das Schiff bohrte den Bug in ein Wellental, wodurch das Tanzparkett in eine leichte Schräglage geriet. Daraufhin fasste ich sie einen Moment lang noch enger, um ihr Halt zu geben, wenngleich sie dazu meine Hilfe nicht nötig gehabt hätte.
»Möchten Sie mir die Nummer Ihrer Kabine sagen?«, raunte sie in mein Ohr und erwiderte den Druck meines Körpers entschlossen mit dem ihrigen. Ich flüsterte ihr die Nummer zu und wiederholte sie, damit sie diese auch ja
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