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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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so starr wie die eines Toten blickten, was passte, da die gesamte Erscheinung wie festgefroren erschien, womit sie einen auffallenden Gegensatz zu meiner eigenen Befindlichkeit bildete. Denn ich selbst fühlte mich wie von körperlichen Fesseln erlöst, als könne es kaum eine Anstrengung kosten, mich von meinem Bett aus in die Luft zu erheben, was ich aber gleichwohl bleiben ließ.
    Nach einer Weile wurde das Gefühl der Leichtigkeit in meinem Körper von einer merkwürdigen Schwere abgelöst, einer Schwere, gegen die ich mich nur unter höchster Willensanstrengung, zu der ich mich aber nicht aufraffen konnte, hätte wehren können, sodass ich mich diesem Zustand schließlich vollständig überließ. Die Folge davon war, dass ich die fixierte Gestalt in dem Sessel irgendwie vergaß, dafür aber Chaotisches zu träumen begann.
    Ich riss die Augen auf und blickte mich um. Im Sessel neben dem Schrank lag nur noch die Decke. Durch das Bullauge waren die Lichter der Bordbeleuchtung zu sehen, die sich auf der sanft vorüberströmenden Meeresoberfläche spiegelten. Mein Blick fiel auf die Uhr – es war kurz nach elf.
    Mit einem Ruck hatte ich mich aufgesetzt.
    Was hatte mich geweckt? Ich sprang aus dem Bett und eilte zur Tür. Der Gang draußen war erleuchtet und menschenleer. War Irene eben da gewesen? Hatte ich ihr Klopfen überhört? Eine Weile stand ich unschlüssig mitten im Raum. Dann legte ich mich wieder auf das Bett zurück und sagte mir, dass sie ja noch kommen könnte; mit gewissen Verspätungen musste man bei Frauen rechnen. Kurze Zeit später stand ich wieder auf und sah erneut hinaus in den leeren Gang. Zwischen zehn und elf hatte sie kommen wollen. Nun war es bald halb zwölf!
    Ich schlug die Tür zu, stieß sämtliche Flüche aus, die mir in den Sinn kamen und vervollständigte schnell meine Kleidung. Verdammt! Was war ich nur für ein Narr! Wie konnte man nur ein Rendezvous mit der schönsten Frau dieser Welt verschlafen! Ich verließ die Kabine, stieg die Treppen hinauf und wählte den Weg in Richtung Bar.
    Es herrschte ein ziemliches Gedränge in dem verräucherten Raum. Die Leute feierten Abschied. Immerhin half der Tumult, dass ich mir einen ausreichend vollständigen Überblick verschaffen konnte, ohne selbst dabei ins Rampenlicht zu geraten. Ich entdeckte Gustav Helmholtz, der an der Bar saß und von Trinkgenossen umgeben war; Irene Varo war nirgendwo zu sehen. Ich hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wo sich die Kabine der beiden befand, nach deren Nummer ich mich bereits bei einem Schiffssteward erkundigt hatte. Zügig verließ ich das Lokal und machte mich auf den Weg.
    Die Nachtbeleuchtung brannte, während ich durch den leise rumpelnden Bauch des Ozeanriesen über weiche Fußböden schritt. Weiße Türen mit Gucklöchern begleiteten mich zu beiden Seiten. Ich entdeckte die Kabinennummer 56, blieb stehen und horchte; alles war still.
    Auf mein Klopfen erfolgte keine Reaktion. Ich klopfte lauter, zweimal, dreimal; nichts. Ich legte das Ohr an das Holz, doch kein noch so schwacher Laut war von drinnen zu vernehmen. Auf einmal hörte ich etwas, ein schwaches Geräusch, nicht von drinnen, sondern von irgendwo hinter mir. Ich drehte mich um, aber auch da war niemand – das Geräusch musste aus einer der anderen Kabinen gekommen sein. Ich klopfte ein letztes Mal, wartete ein, zwei weitere Minuten, nur um ganz sicher zu sein, und ging langsam den Gang zurück, den ich gekommen war.
    Wenn Irene nicht in ihrer Kabine war, wo sollte ich nach ihr suchen? Am besten war wohl, ich kehrte in die Bar zurück, für den Fall, dass sie dort erschiene, womit ja zu rechnen war. Oder mochte es sein, dass wir aneinander vorbeigelaufen waren und uns womöglich nur verfehlt hatten, weil ich den Umweg über die Bar genommen hatte, sie vielleicht auf direktem Wege zu meiner Kabine gegangen war? Es konnte ja nicht schaden, wenn ich noch einmal nachsah und den direkten Weg bis zu meiner eigenen Kabine abging. Vor allem für den Fall, dass sie kehrtgemacht hatte. Sobald ich das Ende des Ganges erreicht hatte, wo es links zur Bar hinaufging, wandte ich mich nicht in die Richtung, aus der ich zuvor gekommen war, sondern auf dem weichen Läufer nach rechts.
    Ich war noch nicht weit gegangen, da fiel mein Blick, der im Weitergehen die Nummern auf den Kabinentüren streifte, auf die Nummer 83. Ich erinnerte mich wieder der Einladung des kleinen Professors.
    Sicherlich wartete auch der Professor zu dieser vorgerückten

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