Spittelmarkt
auf Ihren Besuch!«
»Ich hoffe, Sie meinen das genauso ernst wie ich.«
»Natürlich! Warum sollte ich es nicht ernst meinen?«
»Wer weiß«, gab sie zu bedenken. »Wenn man Urlaubsbekanntschaften wieder trifft, erlebt man nicht selten eine unangenehme Enttäuschung. Außerdem kann es ja auch ein Problem sein, das uns erneut zusammenführt.«
»Deswegen brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Die Probleme anderer Leute sind schließlich mein Beruf.«
»Was für ein schreckliches Metier«, sagte sie, strahlte dabei aber über das ganze Gesicht, »trotzdem bin ich nun beruhigt.«
Ich hatte vorgehabt, gleich nach dem Abendessen in meine Kabine zurückzukehren, doch Frau von Tryska verhinderte es, indem sie mich nach dem Dessert zu einem Aperitif einlud, um mir von ihren diversen Erfahrungen während früherer Schiffsreisen zu erzählen. So hörte ich ihren Schilderungen eine geschlagene halbe Stunde lang mit pflichtbewusster Miene zu.
Gerade wollte ich einen neuerlichen Anlauf starten, den Tisch zu verlassen, da hörte ich eine bekannte Stimme meinem Namen nennen. Ich sah zur Seite und erblickte neben mir in der Pose eines Besuchers, der vorsichtig anfragte, ob er näher treten dürfe, Professor Wolfrath.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihr Gespräch unterbreche«, raunte mir der kleine Professor zu und nickte kurz zu Frau von Tryska hinüber, die ihm von mir bislang noch nicht vorgestellt worden war, »haben Sie etwas Zeit für mich?« Und ohne meine Antwort abzuwarten, beugte er sich ein Stück tiefer und raunte mir so leise wie eindringlich zu: »Wir müssen uns unterhalten, Herr Goltz! Kommen Sie in meine Kabine! Nummer 83!« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Sagen wir, um zehn Uhr!«
»Was ist denn passiert?«
»Seien Sie bitte vorsichtig!«, sagte er flüsternd, wohl in der Hoffnung, dass Frau von Tryska ihn nicht verstand. »Sie wissen schon – die reizende Dame!« Er beließ es bei der Andeutung und richtete sich wieder auf.
»Ich weiß nicht, ob und wann ich es einrichten kann«, erwiderte ich mit gesenkter Stimme, »meine Verabredung mit jener reizenden Dame steht dem im Wege. Vielleicht später.«
Er starrte mich einem Moment unsicher an. »Es ist in Ihrem eigenen Interesse«, sagte er, nickte dann Frau von Tryska zu und wandte sich ab. Schon war er durch die Glastüren hinaus auf das Passagierdeck verschwunden.
Frau von Tryska lächelte nachsichtig und setzte ihre Schilderung fort, so als hätte es die kurze Unterbrechung durch Herrn Wolfrath nicht gegeben. Es dauerte keine weiteren zehn Minuten, bis es mir gelang, mich auf- und davonzumachen und in meine Kabine zurückzuziehen.
Mir stand nicht der Sinn nach einer Unterhaltung mit Herrn Wolfrath. Ich wollte mir von ihm nicht die Laune verderben lassen, deshalb beschloss ich, da es bereits nach neun Uhr war, meine Kabinentür nur zu öffnen, um Irene einzulassen, sobald sie von draußen daran klopfte.
Ich stärkte meine Nerven mit einem Kognak, spülte das Glas und stellte es mit der Flasche und einem weiteren Glas auf den Tisch; im Anschluss daran legte ich mich mit dem Karl-May-Buch auf das Kajütenbett.
Wider Erwarten schaffte ich es, mich durch die Abenteuerlektüre ablenken zu lassen. Während ich miterlebte, wie Old Shatterhand und Old Wabble ihren Freund Old Surehand des Nachts von einer geheimnisvollen Insel befreiten, wo er von Feinden an einen Baum gebunden worden war, befiel mich eine leichte, angenehme Müdigkeit. Ich legte schließlich das Buch beiseite und begann, mit offenen Augen zu träumen.
Auf einem Sessel, der neben dem Schrank an der Tür der gegenüberliegenden Seite des Raumes platziert war, lag eine Wolldecke, die ich in der vergangenen Nacht nicht benötigt und deshalb achtlos dorthin geworfen hatte, und die sich nun zu einem eigenartigen Gebilde aufgetürmt hatte. Bald hatte sich mein Blick so vollständig in diesem Deckenknäuel verloren, dass ich ein bizarres Muster darin wahrzunehmen begann, ähnlich wie es geschieht, wenn man längere Zeit intensiv auf ein Wolkengebilde starrt. Das Muster, das sich zuerst in verschwommenen Umrissen, dann deutlicher vor mir abzeichnete, gewann allmählich die Gestalt eines Menschen, die eines alten Mannes. Dieser Eindruck wurde nach einer Weile so stark, dass ich mich in meinem Dämmerzustand ernstlich zu fragen begann, ob ich wirklich noch allein in meiner Kabine war.
Lebendig sah das Wesen bei genauerer Betrachtung nicht aus, da die Augen zwar weit geöffnet waren, jedoch
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