Spittelmarkt
Schwester starrten mich an.
»Komm herein!«, bat sie mich, nachdem sie ihre Überraschung, mich zu sehen, überwunden hatte. »Ich habe mit deinem Erscheinen gerechnet. Nicht heute Abend – aber ich wusste, irgendwann würdest du kommen!«
Im Wohnzimmer war die Schiebetür zum angrenzenden Nebenraum geschlossen, was mir den Eindruck vermittelte, dass Rudolf nicht zu Hause war.
»Er wird bald da sein«, entgegnete sie, da sie meinen fragenden Blick wahrgenommen hatte.
»Ich komme gerade aus dem Aranerhof«, erklärte ich, »wo ich Frau von Tryska traf – ich nehme an, dass du sie kennst.«
Doris zeigte keine Überraschung. »Natürlich kenne ich sie«, lächelte sie. »Sie hat jede Menge Geld und ist das wichtigste Mitglied unserer Gesellschaft. Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«
»Wir haben ein paar Reiseerinnerungen ausgetauscht. Und Frau von Tryska hat mir die Räumlichkeiten über dem Hotel gezeigt.«
Ihr Lächeln erstarb und ihre Lider senkten sich zur Hälfte über ihre Augen herab. »Du scheinst einen guten Eindruck auf sie gemacht zu haben«, sagte sie mit leiserer Stimme als zuvor, »sonst hätte sie dir kaum diese Gunst erwiesen. Ich hoffe, sie hat sich nicht in dir getäuscht.«
»Es wird ihr egal gewesen sein, wie ich über sie und die ›Gesellschaft der Brüder und Schwestern‹ denke, jetzt, da wir in neuen Zeiten leben.«
»Das ist wahr, endlich brauchen wir keine Rücksicht mehr auf unsere Feinde zu nehmen – weder im Wort noch in der Tat. Seit ein paar Wochen atme ich freie Luft.«
»Das kann ich für mich leider nicht behaupten. Das Atmen fällt mir zunehmend schwerer.«
»Hast du dich bisher nicht auf die neuen klimatischen Bedingungen eingestellt?«, fragte sie, während sie mir ein Glas Rotwein einschenkte. »Du solltest schnell etwas für deine Gesundheit tun. Wenn du zu lange zögerst, ist es für eine Umstellung bald zu spät.«
»Die Umstellung kann nur gelingen, wenn ich weiß, worauf ich mich einlasse«, sagte ich. »Da sind aber noch ein paar Unklarheiten, besonders gibt es da diese eine Sache, die uns beide betrifft.«
»Ich hoffe, es ist nichts Unangenehmes?« Sie richtete aufmerksam den Blick auf mich. »Was ist es? Rede nicht um den heißen Brei herum! Ich werde ebenfalls offen zu dir sein.«
»Das ist in meinem Sinne. Die Sache, die mir am Herzen liegt, ist – dein Kind! Ich möchte mit dir über dein Kind sprechen.«
Sie ließ mich aus den Augen, griff nach ihrem Glas und starrte eine Weile in die schimmernde Flüssigkeit, als versuche sie, deren Strukturen zu ergründen.
»Eigenartig«, bemerkte sie.
»Was ist eigenartig?«
»Du sprichst von diesem Kind, als hättest du noch nie von ihm gehört.«
»Es hat mir auch bislang niemand von dem Kind erzählt.«
»Rede keinen Unsinn!«
»Irgendwie bist auf dem Holzweg, Doris! Es stimmt, was ich sage.«
»Woher weißt du dann überhaupt davon?«
»Ich habe Nachforschungen angestellt und stieß dabei auf eine Liste.«
»Was für eine Liste?«
»Eine Liste mit den Namen von arischen Geschwisterpaaren, die Kinder gezeugt haben.«
Ihre Augen bekamen einen trügerischen Glanz. »Eine solche Liste gibt es? Wer hat sie angefertigt?«
»Sie könnte von einer Frau stammen, die Irene Varo heißt.«
Doris zog betroffen den Kopf zurück.
»Irene?«, flüsterte sie. »Das kann ich kaum glauben.« Sie rieb sich die Stirn. »Wenngleich natürlich kaum jemand anderes in Betracht käme, eine solche Liste zu erstellen. Wenn sie denn so verrückt wäre, diese Dinge preiszugeben; ein Verrat wäre ihr Todesurteil.«
Na, das war ja heiter!
»Irene Varo hat kein Schweigegelübde verletzt, falls du das meinst«, versuchte ich meine unbedachte Bemerkung zu entkräften. »Ich habe alles heimlich und ohne ihre Mitwirkung in Erfahrung gebracht. Deshalb vergiss das mit Irene wieder schnell!«
Sie ließ den Blick für einige Momente frei schweifen. »Du hast demzufolge deinen Namen in der Liste gefunden?«
»Exakt, und da habe ich mich an etwas erinnert.«
Wir sahen uns eine Weile stumm an.
»Muss man dir alles aus der Nase ziehen?«, beschwerte sie sich. »Woran hast du dich denn erinnert?«
»Kurz vor Weihnachten habe ich an einer Veranstaltung in den Räumen der Gesellschaft teilgenommen – und was ich dort sah, ließ mich an uns beide denken, und an das, was wir vor langer Zeit miteinander taten.«
»Drück dich ruhig deutlicher aus!«
»Während ich Roland Olden und seiner Partnerin zuschaute, brauchte ich nur die
Weitere Kostenlose Bücher