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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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hat?«
    »Das Haus ist alt«, sagte sie. »Nicht in seiner heutigen Gestalt – es ist immer wieder erneuert worden –, doch schon vor 100 Jahren gab es an dieser Stelle eine Treppe. Ich weiß nicht, vielleicht hat es früher einmal einen Ausgang zur Straße gegeben, der später verschlossen wurde.«
    Eine dunkle Erinnerung durchbrach meine Gedanken. »Ist es ein großer Keller, ein unterirdisches Gewölbe?«
    »Ich war noch nicht dort«, sagte sie leise. »Irgendwann stößt man an eine Mauer, ab da kommt man ohne fremde Hilfe nicht weiter. Es existiert da unten so etwas wie ein geheimer Zugang in ein unterirdisches Tunnelsystem. Aber ich kann Sie nur warnen, sich jemals ohne Erlaubnis hinunter zu begeben. Man kann sich verirren und findet nicht wieder hinaus.«
    Ein Zugang zur hohlen Erde, der geheime Weg in die unterirdische Welt der Vril-ya? Wohin führte der Tunnel? Unterquerte er gar den Atlantik, sodass man in New York wieder an einen Ausgang gelangte, der an die Oberfläche führte und in ein Treppenhaus mündete, wie dem von Shannons Apartmenthaus? Langsam hatte ich keinen Zweifel mehr daran, über diese Angelegenheit meinen Verstand verloren zu haben.
    »Erlaubnis? Wer erteilt die Erlaubnis?«, fragte ich.
    »Der Pharao«, antwortete sie knapp.
    Da unten könnte es demzufolge sein, das Reich der Toten, der geheime Zugang in die Anderwelt – gelegen im märkischen Schwemmsand unweit der Spree! Unsinn, kompletter Unsinn! Kaum gedacht, verbot ich mir bereits wieder solcherlei Hirngespinste. Irgendetwas allerdings musste es unten geben, das schien mir gewiss. Etwas Schlimmeres gar als eine hohle Erde, etwas, von dem ich lieber nichts wissen wollte, eine Folterkammer, ein Kerker, etwas in dieser Art. Nein, um keinen Preis der Welt würde ich mich dorthin begeben. Sobald ich aus Deutschland fort wäre, würde ich mit Judith besprechen müssen, was man dagegen unternehmen könnte, wem man einen Hinweis geben sollte, damit, falls auch nur irgendeine Aussicht auf Erfolg bestand, der Schrecken ein Ende nahm.
    Der Röntgenblick der Frau, die ein paar Treppenstufen über mir stand, war deutlich zu spüren. Mir wurde wieder bewusst, dass ich von ihr und ihrem Schlüssel abhängig war, um aus diesem unheimlichen Treppenhaus zu entkommen. Wahrscheinlich würde mich niemand hören, falls sie mich hier einsperrte und ich gegen die Mauern schlug. Lediglich die beiden Verbindungstüren bewahrten in mir eine vage Hoffnung, dass jemand meine Hilferufe hören könnte, aber auch dessen war ich mir nicht sicher.
    Hinaus, dachte ich, fort aus diesem Haus. Noch ein einziger Besuch, eine private Abrechnung – und dann fort, weit fort! Judith hatte recht, ich hatte schon viel zu lange gewartet.
    »Ich muss diesen Keller nicht sehen«, sagte ich in gleichmütigem Ton, »gehen wir zurück ins Hotel.«
    Sie senkte den Blick und machte ein paar Schritte, schließlich ging sie an mir vorbei und öffnete die Tür ins Diesseits.

23
    Straßenbahnen zogen wie gelbe Bänder durch die Stadt. Leuchtreklamen ließen den Himmel verschwinden. Feine Restaurants warteten auch an diesem Abend auf elegante Berliner, und im Apollo-Theater, vor dessen Kinokasse sich eine Menschentraube gebildet hatte, gab es einen Film über einen englischen Abenteurer zu sehen. Ein letztes Mal zog die grell rauschende Szenerie der Friedrichstraße an mir vorüber; eigentlich war es wie immer, dennoch kamen mir selbst die bunten Szenen, an denen ich entlangeilte, so fantastisch und unwirklich wie eine Filmkulisse vor.
    Die Kulisse mit ihrem Glamour verschwand, als ich das Oranienburger Tor erreichte. Hier herrschten die Schatten vor, hier begann sich das wahre Gesicht der Metropole zu zeigen: eine Welt aus dunklen Nischen und düsteren Fassaden, durchsetzt mit Ritzen und Löchern aus trübem Licht, alles wie aus der unheimlichen Atmosphäre finsterer Träume gewebt.
    Mehr als ich gehofft hatte, Doris zu Hause anzutreffen, hatte ich mich davor gefürchtet, wusste ich doch, dass dieser Abschiedsbesuch mir keine Freude machen würde. Sowie ich um die Straßenecke bog, erblickte ich Licht hinter den Fenstern ihrer Wohnung. Schweren Herzens betrat ich das hohe Gebäude, das unter einem unruhigen, Unheil verkündenden Himmel lag. Ich stieg in den Fahrstuhl, der in ein schmiedeeisernes Gitterkleid eingefasst war, fuhr hinauf in den dritten Stock und drückte auf die Klingel neben der Tür.
    Ich hörte Geräusche, dann wurde die Tür geöffnet. Die grünen Katzenaugen meiner

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