Spittelmarkt
Antworten liegen sogar in mir selbst«, nickte ich leise.
»Sie beginnen langsam zu verstehen«, sagte Frau von Tryska und lächelte leicht. »Sie haben sich zu lange gegen die Wahrheit gewehrt. Sie brauchen nur zuzulassen, dass die eigene Erinnerung zu Ihnen spricht.«
Mein Herz schlug hörbar, während ich in der Innentasche meines Mantels meine Brieftasche ergriff. Ich holte den Zettel mit den Namen hervor und hielt ihn gegen das Licht. Der Name Harald Franken stand nicht auf dem Zettel, lediglich zwei ganz ähnliche Namen, Helmut Franken und Isabella Franken.
Zweimal Franken – zweimal Olden – zweimal Goltz.
»Ist Ihnen nicht gut?«, vernahm ich die Stimme Frau von Tryskas. Ihre Gestalt schien mir mit den sie umlagernden Schatten immer mehr zu verschwimmen.
»Ich muss an die frische Luft«, murmelte ich rau, »ja, ich werde Sie jetzt verlassen. Ich bin nun im Bilde. Es war interessant, mit Ihnen zusammengetroffen zu sein. Alles Weitere mag in Kürze besprochen werden. Schon in einigen wenigen Tagen, denke ich mir«, ich unterbrach mich und blickte zur Tür, »wird meine Entscheidung fallen.«
»Die Stockwerke über uns müssen Sie also nicht mehr sehen, damit all Ihre Fragen beantwortet werden?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig.«
Frau von Tryska sagte: »Wie Sie wünschen, Herr Goltz.«
Ich schob den Zettel in die Innentasche meines Mantels. Dabei berührten meine Finger einen Umschlag, der sich ebenfalls darin befand, da fiel mir das Foto wieder ein, das mir Judith vor ein paar Tagen gegeben hatte und auf dem der Reichskanzler mit zwei Unbekannten in einem Gartenlokal zu sehen war.
Ich erschrak; an alles hatte ich gedacht, nicht aber daran, das Foto an einem sicheren Ort zu verstecken. Nun, egal, das konnte ich auch nachher erledigen – mein Problem war damit nicht gelöst.
Doch nicht die Tatsache, dass ich das Bild bei mir führte, hatte mich erschreckt, sondern etwas anderes. In mir kam der dringende Wunsch auf, das Foto noch einmal zu betrachten. Es war mir, als ob ich über alles, was mich betraf, größere Klarheit gewann, die Zeit dafür schien gekommen zu sein. Ein Geheimnis nach dem anderen enthüllte sich mir, ausgerechnet hier, an diesem unheimlichen Ort, und dennoch entdeckte ich nur die Kontexte, die ich ganz tief in mir drin bereits kannte.
Ich warf einen Blick zurück über die Schulter. Frau von Tryska stand abseits und hing wohl eigenen Gedanken nach. Vorsichtig nahm ich das Foto aus dem Umschlag und warf einen kleinen Blick darauf, nur auf den Mann im Trenchcoat, von dem man den Rücken und den Nacken mit den silbernen Haaren sah. Zudem den rechten Arm und die rechte Hand.
Meine Lippen begannen zu zittern – und ich erschauderte so fürchterlich, dass ich zusammenzuckte.
Mein Herz schlug wie verrückt. Benommen und wie unter Strom schob ich das Foto in den Mantel zurück. Ich stand eine Weile wie betäubt da, bis ich meine Fassung einigermaßen zurückgewann, während vor meinem inneren Auge eine große schreckliche Klarheit Gestalt annahm.
Frau von Tryska stand noch still und unbewegt, sie ließ sich nicht anmerken, ob sie mein Erschüttern wahrgenommen hatte.
»Wenn Sie so weit sind«, sagte ich mit belegter Stimme, »können wir gern gehen.«
Sie nickte. Wir verließen die Etage auf demselben Weg, den wir gekommen waren, und standen kurz darauf wieder in dem schmalen, unheimlichen Hintertreppenhaus. Diesmal stieg ich zuerst die Treppen hinunter und Frau von Tryska ging hinter mir her.
»Führt diese Treppe bis auf die Straße?«, fragte ich sie, als wir die nächsttiefere Ebene erreicht hatten, auf der sich die oberste Etage des Hotels befand.
»Um auf die Straße zu kommen, müssen Sie durch das Hotel hindurch«, gab Frau von Tryska zur Antwort.
Ich blickte nach unten. Es war nichts außer das sich wiederholende Muster der Stufen zu sehen.
»Aber wir sind doch auf der Höhe des Hotels? Wohin führt dann die Treppe? Gibt es im Erdgeschoss noch einen Zugang zum Hotel?«
Frau von Tryska antwortete nicht, und als ich zu ihr hochsah, hatte ihr Gesicht einen wachsamen Ausdruck angenommen.
»Es gibt keinen weiteren Zugang«, betonte sie streng und machte eine schwache Kopfbewegung hin zu der kleinen Tür. »Dies ist die einzige Verbindung.« Sie blickte mich an. »Da unten gibt es nur einen Keller.«
»Einen Keller? Was für eine eigenartige Gebäudekonstruktion! Ein Treppenhaus, das nur in einen Keller führt und keinen Zugang zur Straße
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