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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Wie war die Überfahrt?«
    »Oh, ich habe interessante Menschen kennengelernt.«
    »Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Warburg. »Jede Seereise hat etwas von einem Abenteuer.«
    Wir nahmen in zwei hochlehnigen Sesseln aus dickem Leder Platz, die in der Nähe des Kamins standen. Gleich darauf kam die Haushälterin mit einem Wägelchen herein und stellte Tee und Gebäck auf das kleine Tischchen, das zwischen den Sesseln stand. Auf der anderen Seite des Raumes führte eine doppelflügelige, ein Stück weit geöffnete Tür auf eine Veranda hinaus. Noch bevor sich die Angestellte wieder entfernte, trat sie zur Tür, schob beide Flügel ein wenig auf und stellte sie fest, damit der hier draußen ziemlich böige Wind sie nicht mehr bewegen konnte.
    »Die ›Bremen‹ soll ja ein ganz ausgezeichneter Dampfer sein«, sprach Warburg. »Die Presse berichtete unlängst davon. Als ich das letzte Mal in Europa war, gab es das Schiff noch nicht.«
    »Buchen Sie unbedingt die ›Bremen‹, wenn Sie mal wieder nach Europa fahren«, sagte ich, ohne zu fragen, woher er wusste, dass ich auf der ›Bremen‹ gereist war. Warburg hob die Brauen, griff nach einem Päckchen Dunhill, das neben ihm auf dem Tischchen lag und nahm eine Zigarette heraus.
    »Wie sieht es drüben denn aus?«, fragte er und hielt mir das Päckchen hin. »Aus Deutschland vernimmt man seit zwei Jahren nur noch Schlimmes.«
    »Für viele Menschen in der Heimat gleicht das Leben einer einzigen Katastrophe«, antwortete ich und nahm eine Zigarette, obwohl ich mir das Rauchen weitgehend abgewöhnt hatte. »In den Großstädten leben zahllose Familien in den Lauben der Gartenkolonien, weil sie sich die teuren Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können. Auf den Straßen trifft man umherwandernde Arbeiterfamilien, die ihr geringes Gut in Schubkarren vor sich herschieben, alle auf der Suche nach Arbeit. Auch vielen meiner Anwaltskollegen geht es schlecht. Und vor Kriminellen ist man inzwischen nirgendwo mehr sicher.«
    »Bei uns ist es nicht viel besser«, sagte Warburg und ließ ein Feuerzeug vor mir aufblitzen. »Die wirtschaftliche Depression macht uns schwer zu schaffen. Ein Drittel aller Ärzte hat aufgehört zu praktizieren. Sechs von sieben Architekten sind arbeitslos, und das in der Weltmetropole der Architektur, die sich vorgenommen hat, die Substanz ihrer Gebäude alle paar Jahrzehnte von Grund auf zu erneuern. Natürlich sind auch die Anwälte betroffen. Von den Arbeiterfamilien will ich gar erst nicht reden. Und die unselige Prohibition, die den Schnapsverbrauch um keinen Deut senkte, hat das Verbrechen und die Korruption in der Politik in einem nicht für möglich gehaltenen Ausmaß sprießen lassen.«
    Eine Zeit lang rauchten wir schweigend, dann bemerkte er: »Ein Unterschied zu euch Deutschen besteht allerdings! Wir in Amerika wollen nicht gleich das gesamte politische System einschließlich der Wirtschaftsordnung auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, nur weil es einmal schlechte Zeiten gibt. Es hat immer schlechte Zeiten gegeben – sie gehen genauso wie die fetten Jahre vorbei. Ich bezweifle zwar, dass Hoover bei den Wahlen im November für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden wird, doch auch unter einem Präsidenten Roosevelt wird es keine Revolutionen geben.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, befürchten Sie, die Kommunisten könnten eine Revolution in Deutschland lostreten?«
    »Nein«, sagte Warburg, »ich dachte an die Gefahr, die von den Nationalsozialisten ausgeht.«
    »Die Wirtschaft fasst allmählich wieder Fuß«, erwiderte ich. »Das Tal der Tränen scheint durchschritten zu sein. Eine solche Situation ist dieser Partei nicht förderlich.«
    Warburg zog an seiner Zigarette. »Solange es den Menschen wirtschaftlich schlecht geht, geschehen keine Revolutionen«, fuhr er fort. »Die Leute sind viel zu sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, als böse Dinge zu unternehmen. Erst wenn sich die Verhältnisse wieder zu stabilisieren beginnen, tritt die Entwicklung in eine gefährliche Phase.« Aus weit geöffneten Augen blickte er mich an. »Ich selbst trage kaum noch einen Zweifel daran, dass dieser Herr Hitler in nicht mehr ferner Zeit maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Politik ausüben wird.«
    Über seinem Kopf hing in einem goldenen Rokokorahmen ein großes Gemälde, das weiße Reiher bei einem Paarungstanz darstellte.
    »Anderer Ansicht ist immerhin der Reichspräsident!«, sagte ich.
    »Auf den Reichspräsidenten

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