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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Kabinensteward machte. Es war die letzte Nacht an Bord. Und so langsam wurde die Zeit für ein Liebesabenteuer mit meiner Angebeteten knapp.
    Ich stieg die Treppe hinauf und stand in der frischen Nachtluft. Vereinzelt schlenderten Passagiere an mir vorüber, Spätheimkehrer, die vom Feiern kamen, fröhliche Menschen, die in einer anderen Stimmung waren als ich selbst. Wodurch unterschied ich mich nun von ihnen?
    In der Bar hatten sich die Reihen kaum gelichtet; doch ich hatte das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören.
    Helmholtz saß wie vorher am Tresen, und nach einer Weile gelang es mir, mich neben ihn zu schieben. Ich gab dem Kellner ein Zeichen, eine Runde Kognak zu bringen. Sowie die Gläser vor mir auf dem Tresen standen, schob ich drei davon meinem unmittelbaren Nachbarn und den beiden Männern auf seiner anderen Seite zu.
    »Zum Wohl, die Herren!«
    Helmholtz nickte freundlich, griff nach einem der Gläser und sah mich an, um mit mir anzustoßen.
    Ich kippte den Inhalt meines Glases hinunter und fragte ihn frei heraus, wo er an diesem letzten Abend seine schöne Begleitung gelassen hatte.
    Helmholtz sagte gut gelaunt: »Irene ist unpässlich und deshalb früh schlafen gegangen. Sie bedauert selbst am meisten, dass sie ausgerechnet heute Abend in der Kabine bleiben musste; aber es war nicht zu ändern. Sie hat eine Schlaftablette genommen und ruhte tief und fest, als ich sie verließ. Morgen wird sie wiederhergestellt sein.«
    Die so leicht dahingesprochenen Worte des Mannes versetzten mir einen Stich. Zudem wurden mir die Lächerlichkeit meiner Bestrebungen und Fantasien der vergangenen Stunden bewusst und brachen wie mit einem Paukenschlag über mich herein.
    Das Schicksal hielt eben immer wieder Überraschungen für einen bereit und warf einen bedenkenlos aus der Bahn, die man gerade eingeschlagen hatte. Obwohl ich nicht recht glauben mochte, dass Irene wirklich unpässlich war, so begriff ich immerhin, dass ich meinen kleinen Traum vom sexuellen Glück würde begraben müssen.
    Ausgeträumt! Aus und vorbei! Eine letzte, schon aberwitzige Hoffnung, Irene könne noch erscheinen und die Dinge für mich zum Guten wenden, hielt mich für eine Weile am Barhocker fest. Doch indem die Erinnerung an den Professor zurückkehrte, und damit auch die Frage, was Wolfrath zu seinem entsetzlichen Schritt bewogen haben mochte, verlor ich endlich das Interesse, mich der ausgelassenen Stimmung in der Bar länger auszusetzen. Enttäuscht kehrte ich in meine Kabine zurück.
    In dumpfer Stimmung lag ich auf meiner Koje und blickte durch das Bullauge hinaus auf die dunkle See. Immer wieder schlingerte das Schiff; möglicherweise befand es sich bereits in Reichweite der Küste. Ich schloss die Augen und sah im Geiste Irene Varo in ihrem Badekostüm. Allerdings wurde das Bild immer wieder durch Wolfrath getrübt, wie er mit dem Hals in der Schlinge hing, wie seine Füße bei jeder schaukelnden Bewegung, die das Schiff machte, über den Boden scharrten. Es wäre besser gewesen, nach dem Steward zu rufen, dachte ich jetzt, aber nun, nachdem ich die Kabinentür zugezogen hatte, war es dafür endgültig zu spät.
    Schließlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf, der jedoch immer wieder von kurzen Wachphasen unterbrochen war. Sowie ich die Augen einmal öffnete, sah ich in der Ferne hinter dem Bullauge Lichter – offenbar war New York bereits in Blickweite gerückt. Kurz darauf träumte ich, dass ich an der Reling eines großen Schiffes stand und dass ich fliegen könnte und das Schiff auf diesem Wege verließ. Die Lüfte trugen mich weit hinaus über die tosenden Wellen, bis hinauf auf einen riesigen Berg, der oberhalb einer Steilküste lag. Da oben befiel mich eine schreckliche Angst. Auf allen vieren kroch ich an den Rand des Abgrunds heran und schrak voller Entsetzen zurück, sobald ich das ungeheure Tal unter mir sah. Dort unten war nicht mehr der Ozean, sondern griffen die gierig glitzernden Lichter einer unendlichen und erregend gespenstischen Stadt nach mir, einer Stadt, in der die Dämonen lebten, verloren und verzweifelt, verführerisch und schön, einer Stadt des Bösen und des Untergangs.
    Das Schiff fuhr nicht mehr, als ich wieder zu vollem Bewusstsein erwachte. Grauer Nebel fiel durch das Bullauge und überall herrschte frühmorgendliche Stille. Ich zog mich an, packte meinen Reisekoffer, legte ihn aufs Bett und ging an Deck.
    Ich war nicht der erste Passagier, der sich zu dieser frühen Stunde an der frischen Luft

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