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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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ich ihn in Erinnerung hatte. Auf seinem Gesicht stand ein breites Lächeln, als hätte er bei meinem Eintreten einen guten alten Freund wiedererblickt, den er lange nicht mehr gesehen und schmerzlich vermisst hatte.
    »Sie waren geduldig mit mir«, begrüßte mich Arnheim, indem er mir die rechte Hand entgegenstreckte. »Natürlich hätte es sich geziemt, Sie gleich nach Ihrer Rückkehr aufzusuchen. Allerdings habe ich diesen zeitlichen Abstand einfach gebraucht.«
    Sein Händedruck war fest, trocken und warm und fühlte sich an wie derjenige eines gesunden Menschen.
    »Kein Problem«, sagte ich, »es ging mir selbst nicht viel anders.«
    Arnheim seufzte. »Ich empfinde ganz stark, dass wir Schicksalsgenossen sind. Obwohl ich bereits seit sechs Monaten allein bin, habe ich mich noch nicht daran gewöhnt. Haller erzählte mir, dass auch Sie allein leben?«
    »Ja – seit ungefähr sechs Jahren.«
    »Wie halten Sie das nur so lange aus?«
    »Ich bin zu wählerisch.«
    Er grinste. »Ich hatte großes Glück, dass ich jemanden wie Veronika bekam – mein Hausmädchen – Sie haben sie eben gesehen. Sie ist ein ganz reizendes Geschöpf. An sechs Tagen in der Woche ist sie für ein paar Stunden hier. Eine Hausangestellte, die sich nicht nur in der Küche zurechtfindet, sondern dazu nett anzusehen ist. Ach, was rede ich da! Nehmen Sie Platz, Herr Goltz! Darf ich Ihnen einen Likör oder Kognak anbieten?«
    Sowie wir in den schweren, dunklen Ledersesseln saßen, nahm Arnheim sein Glas in die Hand, lehnte sich zurück und sagte: »Dass Sie in New York Unannehmlichkeiten bekommen würden, habe ich nicht ahnen können. Sie glauben mir das doch? Oder haben Sie eine schlechte Meinung von mir?«
    Der Kognak hatte einen vollen, feurigen Geschmack.
    »Wenn Sie mit dem gerechnet hätten, was geschehen ist, hätten Sie mich wohl kaum für teures Geld nach New York geschickt.«
    Arnheim verzog das Gesicht zu einem vorsichtigen Lächeln.
    »Nein, im Ernst!«, widersprach er. »Ich war zutiefst schockiert, als ich erfuhr, dass Florence sich das Leben genommen hat.«
    Er senkte den Blick in das unergründliche Gold seines Glases. »Wissen Sie: Ich habe nie aufgehört, sie zu lieben.«
    »Haben Sie eine Vorstellung, warum sie es tat?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Gar keine Vermutung?«
    »Nicht die geringste«, sagte er und machte ein ganz bekümmertes Gesicht. »Und Sie?«
    »Ich glaube nicht, dass ich zur Aufklärung der Motive viel beitragen kann.«
    Arnheim stellte das Glas beiseite und zündete sich eine Zigarette an. »Einmal abgesehen von dem tragischen Ereignis, dessen Zeuge Sie geworden sind – wie ist es Ihnen ergangen? Haben Sie Warburg getroffen? Was hatten Sie für einen Eindruck von ihm?«
    »Er zeigte sich besorgt um Ihre Frau. Ich konnte das zuerst überhaupt nicht verstehen. Zwei Tage später stellte sich mir das natürlich ganz anders dar. Vielleicht hat er etwas von ihrer Absicht geahnt. Sie sollten ihn einmal fragen!«
    »Ja, ich sollte ihm schreiben.«
    Er blickte mich mit wachen Augen an. »Und nachdem es geschehen war? Hat er da noch etwas gesagt?«
    »Zum Glück habe ich ihn nicht mehr getroffen, sonst hätte er mich wahrscheinlich verhaften lassen.«
    »Dieser Narr! Aber es wundert mich nicht. Diese Amerikaner sind so, vor allem diese Ostküsten-Juden!«
    »Er ist ein Deutscher.«
    »Ein Deutscher? Das glaubt nur er selbst! Er ist ein Jude; das ist alles, was zählt. Haben Sie das Dokument bekommen?«
    Ich zog den Umschlag mit dem Brief des chinesischen Mönchs aus der Innentasche meiner Jacke und reichte ihn meinem Gesprächspartner über den Tisch.
    Arnheim öffnete den Umschlag und nahm den Brief heraus. Er faltete das Schreiben des Chinesen auseinander, überflog hastig die Zeilen und lächelte schließlich zufrieden.
    »Hitler weiß gar nicht, dass uns der Brief abhanden gekommen war. Wir erhielten ihn, um ihn auf seine Echtheit hin zu überprüfen, weil man in der Partei davon ausging, dass einige der Herren in unserer Gesellschaft mit den chinesischen Gepflogenheiten gut vertraut sind.« Er blickte auf. »Was sagen Sie zu dem Inhalt? Sie haben das Schreiben doch sicher gelesen?«
    Ich überhörte seine Vermutung. »Es hat mich gewundert, dass Hitler selbst in China seine Anhänger hat«, sagte ich, »aber wie man hört, hat er sie überall auf der Welt – warum nicht auch dort.«
    »Der Verfasser des Briefes ist nicht irgendein Mönch, sondern ein bedeutender Vertreter einflussreicher buddhistischer

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