Spittelmarkt
jedenfalls noch nicht, allerdings sollten Sie eine Tendenz erkennen lassen!«
»Ich weiß nicht, Herr Arnheim, woraus Sie folgern, dass Sie überhaupt Anspruch auf eine Antwort haben. Wir leben in einem freien Land, und dazu gehört nicht nur das Recht, eine eigene Meinung zu haben, sondern auch das Recht, sie für sich zu behalten.«
»Selbstverständlich steht es Ihnen frei, ob Sie mir eine Antwort geben oder nicht«, sagte Arnheim und sein Lächeln wurde schwächer, »nur können Sie nicht verhindern, dass andere aus Ihrer Entscheidung – gewisse Konsequenzen ziehen könnten.«
Mein Blick wanderte wieder zu dem porträtierten Herrn mit den gütigen blauen Augen.
»Oskar Behrend, Wilhelm Santor, Sebastian Preuß und Marina von Nagy haben die Loge der ›Brüder und Schwestern vom Licht‹ im Jahr 1913 hier in Berlin gegründet«, erläuterte Arnheim, der dem Blick meiner Augen gefolgt war. »Von den Gründern lebt nur noch Wilhelm Santor. Die anderen sind – zumindest für die diesseitige Welt – gestorben. Nur wir haben zu ihnen gelegentlichen Kontakt.«
»Kontakt? Zu Behrend?«
Arnheim nickte. »Zuweilen erscheint er uns.«
Offenbar hatte ich mich zu früh gefreut. »Sie wollen sagen, er kommt aus dem Reich der Toten zu Besuch?«
Arnheim entgegnete ganz ernst: »Zu besonderen Anlässen.«
Ich sagte: »Er ist also ein Geist, der sich materialisieren kann?«
Arnheim nickte. »Ein Auferstandener. Ein Heiliger.«
In diesem Moment wusste ich, dass ich niemals ein Mitglied dieser Gesellschaft sein würde, ganz egal, was geschehen und welche Antworten ich Arnheim auf dessen Fragen auch geben würde.
»Nach dem Tod meiner Eltern kamen meine Schwester und ich in ein Waisenhaus und wurden von Nonnen erzogen«, konterte ich. »Die erzählten uns, dass Jesus nach seinem Tod mehrmals seinen Jüngern erschienen sei, in einem ätherischen Körper, der nicht anders als ein materieller Körper wirkte. Ist es das, was Sie meinen?«
»Jesus ist nicht der Einzige geblieben«, wandte Arnheim ein. »Sie wissen, andere sind seinem Beispiel gefolgt.«
»So erzählt man sich. Allein, ich habe bisher nicht so recht daran glauben können.«
»So geht es den meisten Menschen. Nichts für ungut, die meisten Menschen sind nun einmal Narren.«
»Zu Letzteren gehören die ›Brüder und Schwestern‹ offenbar nicht. Was tun sie, um Behrends Beispiel zu folgen?«
»Der erste Schritt auf dem Weg zu einer höheren Daseinsform besteht darin, die eigene Aufgabe zu finden«, sagte Arnheim gedehnt.
»Was meinen Sie damit?«
Arnheim trank einen Schluck seines Kognaks.
»Es rüstet sich ein verschwiegenes Heer, das niemand kennt«, ließ er dann hören. »Jeder hat seine Aufgabe, sein Ziel, das ihm mit seiner Eigenart gesetzt ist. Die Menschen des Kreises finden sich überall. Ihre Umgebung weiß nichts von ihnen, aber jeder von ihnen weiß – oder erkennt – was seines Amtes ist. Ein Beruf oder dergleichen ist nicht die wirkliche Aufgabe, die ein Mensch hat.«
»Ein geheimes Heer? Wozu will es sich rüsten? Das klingt nach Krieg.«
»Ohne einen Krieg wird die Entwicklung des Menschen zu einem höheren Bewusstseinszustand nicht möglich sein«, bemerkte Arnheim leise. »Der Eingeweihte muss den Weg des spirituellen Kriegers gehen.«
»Wie real meinen Sie das mit dem Krieg denn?«
»Sehr real, mein Bester. Wie sonst soll der Mensch die Geschichte wieder beenden? Alle Mythen der Menschheit berichten von der großen Endzeitschlacht. Denken Sie an die Apokalypse des Johannes! Diese letzte große Schlacht lässt sich nicht vermeiden. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass das tausendjährige goldene Zeitalter anbrechen und der neue Mensch werden kann.«
»Der neue Mensch – was ist das für ein Mensch?«
»Menschen, die über Allwissenheit und Allmacht verfügen, hat es zu allen Zeiten gegeben«, sagte Arnheim, »wenn auch in verschwindend geringer Zahl. Wir wollen, dass es wieder mehr werden, und wir wollen insbesondere, dass der arische, der deutsche Mensch wieder zu ihnen gehört.«
»Woran erkennt man diese Menschen?«
»Erkennen kann man sie nur, wenn sie wollen, dass man sie erkennt. In diesem Fall mögen sie eine besondere äußere Ausstrahlung besitzen, denn sie verfügen über ein hohes Energiepotenzial.«
Ein diffuser Gedanke flog mich an. »Auf meiner Reise nach Amerika begegnete ich einer Frau, die so schön war, dass man denken könnte, sie käme von einem anderen Stern. Sie war eine Deutsche und kam aus
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