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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Menschen nicht.«
    »Ja, die Leute fürchten sich immer vor den falschen Sachen.«
    Wir waren allein. Im Kaufhaus war es ruhig geworden. Jedenfalls kam es mir so vor.
    »Möchten Sie mich ein Stück begleiten?«, fragte der Autor, als hätte er gerade einen Entschluss gefasst. »Über Politik können Sie sich ganz offen mit mir unterhalten. Jedermann, der mich kennt, weiß ohnehin, wo ich politisch stehe.«
    Wir erreichten die Rolltreppe und fuhren nach unten.
    »Sie stehen jedenfalls nicht im nationalen Lager.«
    Er zuckte die Achseln. »Mit den Kreisen, die man heutzutage dem nationalen Lager zuspricht, habe ich keine Gemeinsamkeiten. Das ist wahr! Hat Ihr Problem etwas mit Politik zu tun?«
    »Mit Politik und mit Schönheit«, erwiderte ich. »Ich würde Ihnen gern von meiner Reise nach Amerika erzählen.«
    Draußen vor dem Kaufhaus leuchtete eine spätherbstliche Sonne.
    »Da drüben auf der anderen Straßenseite kenne ich ein kleines Café«, sagte ich und deutete schräg über den Hermannplatz, »da wären wir ganz ungestört. Ich lade Sie zum Kaffee ein.«
    »Na, meinetwegen!«, nahm der Dichter meinen Vorschlag an. »Immerhin haben Sie mich wirklich neugierig gemacht. Meine eigene Verabredung kann etwas warten. Und nun sagen Sie mir erst einmal, wer Sie überhaupt sind!«
    Ich stellte mich ihm vor, und daraufhin fragte er: »Und Sie sind sicher, dass Sie aus eigenem Antrieb und in niemandes Auftrag zu mir gekommen sind?«
    »Es gibt keinen Auftrag, ich komme nur für mich allein.«
    In einer kleinen Nische des Cafés fanden wir einen Platz, wo wir vor den Blicken der Leute, die den prominenten Literaten kannten, einigermaßen gut geschützt waren. Dort erzählte ich meinem Gast nicht nur von meiner Begegnung mit Irene Varo und von der Rolle, die sie in dem Fall meines Mandanten, dessen Namen ich ihm nicht nannte, gespielt haben mochte, sondern auch von den ›Brüdern und Schwestern vom Licht‹ und ihren fragwürdigen Ideen und Plänen zum Aufbau einer gottähnlichen arischen Elite.
    »Man hat sich im vergangenen Jahrzehnt so manches Obskure anhören müssen«, sagte Heinrich Mann, als ich fertig war. »Einige Leute scheinen nicht mehr nur von diesen Dingen zu träumen, sondern sind offenbar fest entschlossen, sie in handfeste Politik zu verwandeln. Es ist wirklich erstaunlich, was aus Utopien so alles werden kann. Der Versuch allerdings, ein irdisches Paradies zu errichten oder das, was man bisweilen dafür hält, endet regelmäßig vor den Pforten der Hölle.«
    »Irene Varo könnte aus Sicht dieser Leute geradezu der Prototyp des neuen Menschen sein. Ich weiß nichts von ihr. Wer ist diese Frau? Woher kommt sie?«
    »1922 war sie Schlangenfrau bei dem neu gegründeten Ensemble meiner Freundin Trude Hesterberg, der ›Wilden Bühne‹, wie die Truppe genannt wurde«, erwiderte Heinrich Mann. »Irene war damals noch sehr jung, vielleicht 19, höchstens 20.«
    »Haben Sie sie gut gekannt?«
    »Gelegentlich habe ich mit ihr ein paar Worte gewechselt – nicht mehr oder weniger als mit anderen Ensemblemitgliedern. Sie war nett, vom Typ zurückhaltend, man kam nicht wirklich an sie heran, was auch darauf beruhte, dass die Übermacht des Eros in ihrer Erscheinung so vorherrschend war, dass diese ihr eigentliches Wesen regelrecht verbarg. Es war ja praktisch unmöglich, ihrer erotischen Anziehungskraft nicht zu verfallen. In einer Gruppe von Tänzerinnen auf attraktive Menschen zu stoßen, ist ja ziemlich normal, allerdings stach sie selbst unter diesen Leuten deutlich hervor.«
    »Was war mit ihrem beruflichen Werdegang? Wie lange blieb sie im Ensemble?«
    »Im Sommer 1923 war Schluss mit der ›Wilden Bühne‹, aber sie verließ das Ensemble schon früher, so Anfang 23 muss das gewesen sein – eines Tages war sie einfach nicht mehr da. So erzählte es mir Trude, und danach habe ich Irene Olden auch nie mehr wieder gesehen.«
    »Es könnte doch einen späteren Kontakt gegeben haben. Sie sprach davon, dass Sie von Ihnen ein Exemplar des ›Professor Unrat‹ geschenkt bekommen hätte.«
    Heinrich Mann überlegte einen Moment. »Es war Trude, von der sie das Buch bekam. Trude und ich sprachen darüber, wer anlässlich der geplanten Verfilmung die Rolle der Lola übernehmen könne. Wegen ihrer Schönheit hätte ich gern die schlangengleiche La Jana in der Rolle gesehen. Trude erwähnte dann im Gespräch Irene Olden, der sie irgendwo begegnet war, und die von ihrer Optik sogar die La Jana noch in den Schatten

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