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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Geschwisterpaars, weshalb der Rattenfänger auf die beiden aufmerksam wurde.«
    »Dem Publikum kam es auf die reizvolle sexuelle Handlung an, wie die beiden sie zweifellos trefflich bieten konnten. Vom Verwandtschaftsverhältnis hatte das Publikum wahrscheinlich gar nichts gewusst.«
    »Und wenn doch! Was, wenn es gerade darum ging, ein schönes Geschwisterpaar auf die Bühne zu bringen?«
    »Und wieso, wenn ich fragen darf?«
    »Weil es nicht nur um Sex ging«, sagte ich, »sondern um die Durchführung eines dunklen Rituals – um die Aufführung eines Kunstwerks des Bösen.«
    Die letzten Worte waren mir so herausgerutscht. Die Vorstellung von einem Kunstwerk des Bösen war mir ganz spontan gekommen, und es war mehr ein Gefühl als ein Gedanke.
    »Ein Kunstwerk des Bösen?« Heinrich Mann blickte nachdenklich vor sich hin. »Kein Zweifel – es hat solche Kunstwerke gegeben. Der ideale Künstler lässt ein Stück seiner Seele in seinem Kunstwerk zurück; der Künstler des Bösen benutzt andere Menschen zum gleichen Zweck. Er ist ein Seelenzerstörer. Doch warum halten Sie die Bühnenvorstellung der Geschwister für ein solches Kunstwerk?«
    »Es war nicht mehr als ein diffuser Eindruck – so wie bei Ihnen mit dem Rattenkind – begründen kann ich es nicht.«
    Ein Ausdruck des Zweifels trat in Heinrich Manns Gesicht.
    »Wirklich nicht?«, fragte er. »Sie haben mir noch nicht gesagt, warum es besser ist, wenn ein Geschwisterpaar das dunkle Ritual ausführt.«
    Ich spürte, dass das Thema ein so heißes Eisen für mich war, dass ich nicht wirklich frei darüber sprechen konnte.
    »Der Bruch eines Tabus wie das des Inzests setzt gewisse Kräfte frei«, erwiderte ich vorsichtig, »besonders dann, wenn er vor eingeweihten Zuschauern, also gleichsam in Form eines Bekenntnisses, geschieht. Und diese Kräfte, die da frei werden, ja, das sind die Kräfte des Bösen. Sie gilt es, sich nutzbar zu machen, um mit ihnen etwas zu gestalten, eine Art höheren Seins.«
    Heinrich Mann nickte. »Den Geist aus der Flasche lassen – das meinen Sie doch! Ach, diese schlauen Menschen, sie wissen immer alles besser als Gott. Diese Sorte Okkultisten glaubt ernsthaft, sie vermöchte es, sich durch irgendwelchen sexualmagischen Spuk selbst zu erleuchten. In Wahrheit sind diese Leute lediglich Narren! Dennoch vermögen sie leider viel Unheil anzurichten.«
    Er schüttelte den Kopf und sah mürrisch vor sich hin.
    »Von allen Darbietungen dieser Welt interessiert mich diese abscheuliche Kunstform am allerwenigsten.« Er hob den Blick und sah mich eindringlich an. »Sie sollten sich von diesen Leuten fernhalten! Sie können dabei nur verlieren! Diesen ungefragten Rat möchte ich Ihnen dennoch geben.«
    »Ihr Ratschlag kommt leider zu spät. Ich habe die falsche Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen. Und wenn man solche eine Entscheidung gefällt hat, sind die Würfel ein für allemal gefallen.«
    Der Dichter nickte. »Einmal Rattenkind – immer Rattenkind! Das wollen Sie damit sagen, nicht wahr? Ja, wenn man die eigene Freiheit abgeschafft hat, ist sie fort. Dann hat man sie nicht mehr und kriegt sie auch nicht zurück. Doch Sie sollten die Hoffnung nicht aufgeben! Würde es keine Aussicht auf Rettung geben, wären die meisten Menschen verloren. Die falsche Entscheidung haben wir alle irgendwann einmal getroffen!«
    »Nicht in der Weise, wie ich es dereinst tat. Ich stecke wohl tiefer drin, als mir bewusst war! Aber Ihr Wort in Ehren! Aufgeben will ich noch nicht!«
    »Die Hoffnung darf nicht sterben!«, nickte der Dichter. »Niemals. Nicht früher, nicht später und auch nicht zuletzt!« Er schaute auf seine Uhr, trank den letzten Rest seines Kaffees und erhob sich von seinem Stuhl. »Nun wird es Zeit zum Aufbruch für mich.«
    »Vielen Dank für Ihren Zuspruch«, sagte ich, indem ich mich ebenfalls erhob. »Haben Sie vielleicht eine Idee, wo ich nach dem liebreizenden Rattenkind suchen kann?«
    »Ich werde Trude einmal fragen«, versprach Heinrich Mann. »Sie war ja damals in der ›Wilden Bühne‹ ihre Chefin. Vielleicht hat sie eine Idee.« Er nahm einen Stift und ein Stück Papier aus seiner Jacke, beugte sich über den Tisch und schrieb ein paar Zahlen auf das Papier, das er mir anschließend gab.
    »Rufen Sie mich in drei oder vier Tagen unter dieser Nummer an«, sagte er, indem er aufstand und mir die Hand zum Abschied reichte. »Bis dahin habe ich mit Trude gesprochen.«

14
    Ich fand nie heraus, ob die Dame, die mich am

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