Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
Vom Netzwerk:
gut aus; allein ihre schlanke, sportliche und früher knabenhafte Figur hatte etwas Hageres bekommen, das erste und doch das bisher einzige Anzeichen des voranschreitenden Alters.
    »Den Eindruck hatte ich nicht«, wandte ich ein. »Die Leute dort waren rührend um sie besorgt. Ihre Berliner ›Brüder und Schwestern‹ vermisste sie dagegen nicht sonderlich.«
    Ihre grünen Katzenaugen musterten mich aufmerksam. »Haller, den ich auf einer Versammlung traf, berichtete mir, du würdest dich für ihren Freitod verantwortlich fühlen. Das verstehe ich nicht, Eugen! Florence wusste immer, was sie tat.«
    »Mag sein! Doch vielleicht hat sie sich irgendetwas von mir erhofft, was ich nicht in der Lage war, ihr zu geben.«
    »Was sollte das gewesen sein?«
    »Hilfe!«, entgegnete ich. »Zum Beispiel einen Rat, wie man sich davor schützen kann, als Verräter behandelt zu werden. Florence mag geglaubt haben, dass wir ein verwandtes Schicksal haben. Immerhin habe ich Oskar Behrend gekannt und ähnlich wie sie später einem von ihm ins Leben gerufenen Kreis den Rücken gekehrt.«
    Doris lächelte, und in ihren Zügen malte sich leiser Spott. »Hat man dich denn als Verräter behandelt? War es denn wirklich so schlimm? Wer eine verschworene Gemeinschaft verlässt, kann sich natürlich nicht darauf verlassen, dass man die Freundschaft aufrechterhält.«
    »Das erwartet ja auch niemand. Es würde reichen, wenn man solche Leute nicht verfolgt, sondern einfach in Ruhe lässt.«
    Sie lachte auf. »Hat man dich denn verfolgt? Natürlich nicht! Warum also sollte man mit Florence Arnheim anders verfahren sein?«
    »Ich war dem Behrend-Kreis nie so eng verbunden wie Florence eurer Gesellschaft. Auch waren es andere Zeiten. Im Gegensatz zu heute gab es damals nur eine kleine Gruppe ohne Einfluss und Macht. Aber davon ganz abgesehen – du willst wohl nicht ernsthaft behaupten, dass es ein Zufall ist, wenn man ausgerechnet mich damit betraut, in dieser Sache nach New York zu fahren?«
    Sie blickte mich aufmerksam an. »Du bist Hallers Partner, und Haller ist einer von uns, alles Weitere ist doch ganz einfach.«
    »Haller hat mir erzählt, du hättest dich vor sechs Jahren bei seinem Vorgänger Preuß für mich eingesetzt. Ist das wahr? Nach allem, was geschehen ist, hat es mich überrascht, davon zu erfahren.«
    »Es hat dich überrascht – nach allem, was geschehen ist?« Ihre Augen funkelten eindrucksvoll. »Was ist denn geschehen? Wovon sprichst du?«
    Ich griff nach dem Rotweinglas und nahm einen beherzten Schluck. Ihre Worte hatten ausgereicht, dass mich ein merkwürdiges und unerklärliches Gefühl der Verwirrung befiel.
    »Gut, mach dir keine Sorgen«, sagte ich leise, sowie das Gefühl wieder verschwand, »es ist nichts geschehen!«
    Doris erwiderte ebenso leise, fast flüsternd: »Unsere Geister haben sich damals an Behrends Person geschieden, aber sonst – stand nie etwas zwischen uns. Nichts.«
    Ihr Blick schweifte fort.
    »Ja, ich habe Preuß seinerzeit von dir erzählt und zu ihm gesagt, du seiest einer von uns. Du hattest den Krieg heil überstanden, warst mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden, und – ja, du bist eben mein Bruder, mein einziger lebender Verwandter. Ich habe dich beinahe jedes Jahr zu meiner Geburtstagsfeier eingeladen, du hingegen mich in all den Jahren nicht ein einziges Mal!«
    Ein finsterer Schleier schob sich vor ihre Augen, und ihre plötzliche geschwisterliche Zuneigung überraschte mich. Allerdings konnte ich mir nicht darüber klar werden, ob sie echt oder geheuchelt war.
    »Trotzdem hast du niemals mehr zu mir von Behrend oder eurer Gesellschaft gesprochen. Es wundert mich, dass es die Welt von Behrend überhaupt noch gibt.«
    »Seine Welt ist lebendiger denn je«, erwiderte Doris, »und über etwas, das so lebendig ist und all die Jahre war, brauchte ich mit dir nicht zu sprechen. Ein großer Geist hat es nicht nötig, dass man für ihn wirbt.«
    »Mir ist Behrends Geist nicht geheuer«, sagte ich, »ganz egal, ob er nun groß ist oder klein.«
    »Du bist ein Ignorant«, stellte sie fest, nachdem sie mich eine Weile schweigend gemustert hatte, »und stur und unbeweglich in Bezug auf einmal gefasste Ansichten. Dabei ist es noch nicht zu spät, Eugen! Eigentlich fängt es erst an! Auch für dich kann es einen neuen Anfang geben! Werde endlich der, der du bist!«
    »Willst du damit sagen, dass wenn ich – nur einmal angenommen, ich wollte es wirklich – Mitglied der Gesellschaft der

Weitere Kostenlose Bücher