Spittelmarkt
schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte.. ein ding das wie gold ist aus lehm..
Wie duft ist und saft ist und würze –
Und was sich der große profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.
Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich..
Kein schatz der ihm mangelt.. kein glück, das ihm weicht..
Zu grund mit dem rest der empörer!‹«
Sie schwieg, und nach einer Weile klatschte Rudolf Beifall.
»Fast bis zum Ende geschafft«, sagte er, »nur die letzten beiden Strophen fehlen.«
»Du weißt ja, wie es zu Ende geht«, erwiderte Doris.
Rudolf gab ihr keine Antwort, sondern wandte stattdessen den Blick seiner stahlblauen Offiziersaugen zu mir herum.
»Am besten, du liest das Gedicht einmal irgendwo nach, Eugen«, ließ er sich vernehmen. »Beim bloßen Hören kann man es leicht falsch verstehen.«
»Was gibt es da falsch zu verstehen?«, entgegnete ich. »Der Inhalt des Gedichts ist einfach furchtbar, eine einzige Horrorvision, nie und nimmer ein Gedicht über Deutschlands Retter. Der Antichrist, der Teufel als Erlöser? Das kann wohl nicht euer Ernst sein!«
»Nimm die Scheuklappen ab!«, rief Doris. »Die christliche Religion ist nicht die richtige für unser germanisches Volk, es ist eine Religion, die uns aufgezwungen wurde. Der richtige Mann für unser Land muss notwendigerweise ein Gegner des Christentums sein. Sollen unsere Feinde den Mann der Stunde ruhig einen Antichristen nennen – kommen wird er! Selbstverständlich wird er kein neuer Jesus sein – dessen Zeit ist noch nicht wieder da, sondern ein Mann des Schwertes, aber deshalb auch ein Mann des Heils.«
»Und welche geistige Grundlage zeichnet diesen Mann aus?«
»Das Urwissen seiner atlantischen Vorfahren ist seine geistige Grundlage ebenso wie es die unsrige ist«, erwiderte sie.
»Eine erfolgreiche Machtpolitik muss sich aus spirituellen, wenn nicht gar magischen Quellen ableiten«, dozierte Rudolf. »Geheime Orden wie der unsere haben den Zweck, das verlorene Wissen der alten Arier und die rassischen Tugenden der Germanen wiederzubeleben und die Errichtung eines neuen pangermanischen Weltreiches vorzubereiten. Dabei sorgen wir nur dafür, dass die alten Quellen wieder sprudeln können, um das zu befruchten, was auf der politischen Ebene entsteht.«
»Eine dieser geheimen Selbsterlösungslehren. Ich verstehe, trotzdem …«
»Ich weiß nicht, ob du wirklich verstehst«, unterbrach mich Doris barsch. »Das verloren geglaubte Wissen unserer Ahnen ist nicht irgendeine verquere Selbsterlösungsreligion. Es geht um die Anwendung praktischer Magie – vorläufig in kleinen Orden und Geheimbünden, später einmal in der ganzen Gesellschaft. Uns Ordensangehörige eint die Überzeugung, dass der Neubau von Staat und Gesellschaft eine metaphysische Aufgabe ist, die keinem geringeren Ziel als dem der Kreation des metaphysisch erhöhten germanischen Menschen dient. Die Vision von der Geburt des neuen Menschen, von der Behrend gesprochen hat: Sie muss nun Wirklichkeit werden.«
»Ich will dir ja nicht den Glauben nehmen, dass dieser neue Mensch machbar ist«, sagte ich, »aber was heißt denn praktische Magie? Was meint ihr damit? Und was muss der Einzelne tun, um daran teilzuhaben?«
Der Blick ihrer grünen Katzenaugen konzentrierte sich auf mein Gesicht. »Der Einzelne muss sich als Erstes entscheiden«, sagte sie. »Man ist entweder Christ oder Deutscher, beides kann man nicht sein, wir glauben an den Gott, der im eigenen Blute ist. Die Wiedergeburt der arischen Menschen kann nur in einem rassisch reinen Volk gelingen. Die Menschen von Atlantis waren hochstehende und schöne, gesunde und langlebige Menschen. Doch sobald ihre Rasse durch Mischung mit Andersblütigen entartete, kam es zu ihrem Niedergang. Unsere Religion fordert die Umkehrung dieses Vorgangs, sie will den menschlichen Sündenfall rückgängig machen und dem deutschen Menschen wieder zu seiner wahren Bestimmung verhelfen.«
»Und warum nur dem deutschen Menschen?«
»Weil der Aufstieg zum Lichtwesen gegenwärtig nur ihm als dem auf der höchsten Entwicklungsstufe angelangten Menschen vorherbestimmt ist.«
»Wie soll die Rassereinheit hergestellt werden? Wollt ihr den Menschen etwa Vorschriften darüber machen, wer mit wem ein Kind zu zeugen hat?«
»Selbstverständlich! Vor allem darf es natürlich keine Blutschande mehr geben.«
Sie unterbrach sich, als hätte sie sich versprochen. Einen Moment
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