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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Duft; ein Duft, wie ihn nur eine wirklich schöne Frau verströmen konnte.
    Eine Zeit lang starrte ich auf die Garderobe, dann begann ich vorsichtig, den Schrank zu durchsuchen und schaute in die Fächer, ob hinter oder zwischen den Wäschestücken etwas verborgen wäre.
    Nichts!
    Ich durchsuchte eine Kommode auf der anderen Seite des Bettes.
    Auch nichts!
    Ich kehrte wieder in das Wohnzimmer zurück und stand dort erneut vor Dürers Kupferstich von dem düsteren einsamen Ritter, der seinen Schreckensweg durch eine ungewisse Welt ganz allein mit Ross und Hund antreten musste. Ob der Bewohner dieser Räume auch solch ein düsterer Ritter war? Einer, dem jede Hoffnung fehlte, der aber dennoch furchtlos seinen einsamen Weg auf der Suche nach der Wahrheit verfolgte? In weiter Ferne umglänzte das Abendlicht die Burg, einen Bau gotischer Romantik, von der der Ritter Abschied genommen hatte, um sich im Geleit zweier Dämonen, des Todes und des Teufels, auf seine schwierige Suche zu begeben. Wohin würde der Pfad ihn führen, wo endete er? Führte er überhaupt irgendwohin? Und würde er jemals enden?
    Von schräg links fiel das trübe Licht der Stehlampe, die der Hauswart angeschaltet hatte, bevor er gegangen war, auf den Sekretär an der Wand gegenüber der Tür. Der kleine Schreibtisch hatte eine Schranktür, die sich hochklappen ließ. Darunter gab es eine Vielzahl von Schubfächern, in denen allerlei Dokumente verwahrt wurden. Allerdings fand ich nichts Besonderes, das meiste waren Rechnungen älteren Datums. Ich setzte mich auf den Stuhl vor dem Sekretär und lehnte mich zurück.
    Eine gewisse Zeit saß ich unbeweglich da. Irgendetwas war komisch, dachte ich und schloss die Augen. Ich versuchte, mich zu besinnen, was mir beim ersten Durchsehen der Fächer, ohne dass es mir schon bewusst geworden wäre, aufgefallen war. Eine ganze Weile passierte nichts, doch plötzlich kam mir ein Gedanke.
    Es war etwas mit diesen Schubfächern! Ich zog wieder eines auf, dann das nächste und verglich sie. Daraufhin nahm ich zwei von ihnen ganz heraus und guckte dahinter, entdeckte aber nichts. Erst nachdem ich sämtliche Fächer wieder geschlossen hatte und die Linien musterte, durch die sie voneinander abgegrenzt waren, bemerkte ich eine seltsame Unregelmäßigkeit. Ich zog das oberste Fach auf der linken Seite heraus, dann das nächste; und da endlich stieß ich auf etwas. Die Fächer waren verschieden hoch! Ich nahm das kleinere Fach ganz heraus und drehte es um.
    Das Fach war unterteilt und hatte auf der Unterseite noch eine Art Geheimfach. Es ließ sich ohne großen Aufwand dadurch öffnen, dass man die untere und nun obenauf liegende Platte aus der Halterung zog. Dahinter lag ein größerer Briefumschlag, der einen zusammengefalteten Bogen Papier und mehrere Fotos enthielt. Ich nahm alles heraus und legte die Fotos nebeneinander auf den Tisch.
    Die drei Fotos zeigten alle das gleiche Motiv, allerdings in zeitlich versetzter Abfolge und unterschiedlicher Perspektive. Ein nacktes Paar, eine Frau und ein Mann, die sich im hellen Scheinwerferlicht einer etwas erhöhten Bühne gegenseitig umfingen, ein Anblick, der meinen Blutdruck schlagartig erhöhte.
    Die Bühne war rundherum von Betrachtern umgeben; Leute, die in Sesseln zwischen Tischen mit Lämpchen saßen, von denen man aber nicht viel mehr als die Schuhe und die Hosenbeine sah, während sich die Gesichter im Dunkeln befanden. Das waren sie, Irene Varo alias Olden, wie sie in Wahrheit hieß. Ihr Bruder Roland, der Mieter dieser Wohnung und zu meiner augenblicklichen Überzeugung derselbe Mann, den ich in jener denkwürdigen New Yorker Nacht mit Irene und Florence beobachtet hatte.
    Olden war an ein Kreuz gebunden, ein nackter Christus ohne Lendenschurz, die gesenkten Augen blickten entrückt auf sein Glied herab, das fast senkrecht nach oben zeigte. Zwischen seinen frei in der Luft hängenden langen Beinen war ein Holzpflock am Kreuz angebracht, die einzige Vorrichtung, die seinem lang gestreckten Körper Halt gab. Irene Olden stand vor dem Kreuz, eine nackte Salome mit dem Kopfschmuck einer Isis-Priesterin. Ihr Körper ließ an eine nackte, weibliche Longinusgestalt denken, denn ihre Pose war diejenige einer Kriegerin. Sie hielt einen Speer in der rechten Hand, während die Finger ihrer linken die Spitze des brüderlichen Penis berührten. Das nächste Foto war aus etwas größerer Nähe zum Ort des Geschehens aufgenommen worden und offenbarte den Schriftzug, der auf das

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