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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Motorengeräusch vom Bordstein ab. Aus den Augenwinkeln betrachtete ich den Mann, mit dem ich die Rückbank teilte. Er war schlank und wirkte hoch gewachsen, mit einem Gesicht wie Elfenbein, Haare und Schnurrbart so schwarz wie Ebenholz, die harten Augen lächelnd in meine Richtung geneigt.
    »Wohin fahren wir?«, versuchte ich ihm das Ziel zu entlocken.
    »Alles zu seiner Zeit«, lächelte der Kollege. »Bedienen Sie sich! Was zu trinken oder eine Zigarette?« Er ließ die Türen eines Cocktailschränkchens aufspringen und nahm eine Packung Zigaretten aus seiner Jackentasche.
    Ich nahm ihm eine Zigarette ab und Hartmann zündete auch sich selbst eine an.
    »Waren Sie im Krieg?«, fragte er, nachdem wir eine Weile geraucht hatten.
    »Ja, zuerst im Westen, anschließend zwei Jahre an der Ostfront.«
    »Ostfront – na, da haben Sie ja Glück gehabt. Welchen Rang hatten Sie?«
    »Ich war Leutnant. Und Sie?«
    »Major.«
    Die Fahrt ging nach Nordosten. Bald darauf überquerte die Limousine den Potsdamer Platz, in dessen Mitte ein großer Weihnachtsbaum leuchtete. Der Wagen rollte in die Leipziger Straße, bog dann rechts in die Jerusalemer Straße und schwenkte kurz darauf in eine nach links abzweigende Straße ein, auf der es wieder nordöstlich ging. Die Lichter wurden schwächer, als die Limousine durch düstere Alleen glitt, an riesigen Häuserfassaden mit dunklen Balkons und nur vereinzelt erleuchteten Fenstern entlang.
    »Keine jüdischen Vorfahren?«, warf mir Hartmann in einem Tonfall entgegen, als ob er ein Recht auf eine Antwort hätte.
    »Wenn meine Schwester keine hat – so habe ich wohl auch keine.«
    »Seien Sie nicht so unfreundlich, lieber Kollege Goltz!«, erwiderte Hartmann. »Ich muss Ihnen diese Fragen stellen.«
    »Warum? Es geht Sie überhaupt nichts an!«
    »Wir wollen uns nicht streiten«, lenkte Hartmann ein.
    »Dann sollten Sie Ihren Ton ändern«, erwiderte ich.
    »Gut! Ich entschuldige mich – wiederhole jedoch ganz höflich meine Frage.«
    »Und ich erwidere Ihnen darauf ganz höflich, dass mir keine solchen Vorfahren bekannt sind.«
    »Wer sind oder waren Ihre Eltern?«
    »Meine Schwester hat dieselben. Hat sie Ihnen das nicht erzählt?«
    Hartmann lachte. »Sagen wir mal – ich erinnere mich nicht mehr. Nichts für ungut! Erzählen Sie es mir einfach noch einmal. Ich muss es auch von Ihnen hören!«
    »Sie machen keine gute Reklame für Ihre Gesellschaft.«
    »Lieber Herr Kollege, Sie sind nicht mein Kunde, sondern jemand, der sich um die Aufnahme in einer Organisation bewirbt.«
    Also erzählte ich dem Kollegen, was er hören wollte, allerdings nur in der erdenklich knappsten Form.
    Hartmann bedankte sich mit einem Nicken, dann wandte er den Kopf zur anderen Seite und sah für einige Momente durch das Fenster in die Dezembernacht hinaus, als versuchte er sich zu vergewissern, wo wir uns gerade befanden.
    Schließlich tippte er dem Fahrer, von dem nur der breite Rücken zu sehen war, auf die Schulter, dieser fuhr den Wagen an den Straßenrand und stoppte bei laufendem Motor.
    Ich war durch das Gespräch mit Hartmann so abgelenkt worden, dass ich Schwierigkeiten hatte, an der verschneiten Häuserzeile auszumachen, wo genau wir uns befanden. Die Straße, in der wir warteten, war mir fremd.
    Hartmann sah wieder zu mir und sagte: »Sie werden es vielleicht ungewöhnlich oder gar lächerlich finden, aber ich möchte Sie bitten, mir einen Gefallen zu tun und dies hier«, er hielt eine schwarze Schlafmaske hoch, »für fünf bis zehn Minuten aufzusetzen. Es lässt sich leider nicht vermeiden! Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir werden Sie in ein paar Stunden wohlbehalten zu Hause abliefern. Bitte – es tut auch nicht weh.«
    Ich tat, wie mir geheißen, und gleich darauf umgab mich absolute Finsternis. Der Wagen fuhr wieder an und setzte seine Fahrt nach einem vorherbestimmten Ziel fort. Während der folgenden Minuten herrschte Schweigen im Fond, auch von draußen hörte man nichts, was an den verschneiten Straßen und der vorweihnachtlichen Stille lag.
    Der Wagen bog um mehrere Ecken. Mir kam es vor, als ob er in einer Art Kreisbewegung fuhr. Ich sollte wohl auf diese Weise die Orientierung verlieren. Nachdem der Wagen erneut gestoppt hatte und der Motor diesmal abgestellt wurde, durfte ich die Augenklappen wieder abnehmen.
    Beim Blick durch das Fenster sah ich, dass wir uns in einem Innenhof befanden, der von haushohen Mauern umgeben war. In dem Torbogen, durch den wir gekommen waren und

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