Spittelmarkt
dessen schmiedeeisernes Tor bereits wieder verschlossen war, brannte ein Licht, ansonsten war es dunkel in dem Hof, neben dem ein mächtiges schwarzes Gebäude in den verschneiten Himmel ragte. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns trotz der langen Fahrt nicht weit vom Stadtzentrum entfernt hatten, sondern uns noch immer in Friedrichstadt oder in Luisenstadt befanden, irgendwo im alten Herzen von Berlin.
Wir stiegen aus dem Wagen, stapften durch den Schnee auf einen Hintereingang des Gebäudes zu und gelangten über eine Treppe und eine weitere Tür in eine düstere, nur spärlich erhellte Eingangshalle. Dort ging Hartmann zu einen Fahrstuhl voraus, der ebenfalls in ein schmiedeeisernes Gitterkleid eingefasst war; der Chauffeur blieb im Foyer zurück.
Oben angekommen, öffnete sich die Tür des Lifts direkt in der Wohnung. Hartmann und ich standen auf dem hochglänzend lackierten Boden eines Vestibüls. Gegenüber befand sich eine Tür, zu der er einen Schlüssel besaß. Dahinter lag ein Gang, an dessen Wänden in bronzenen Kehlungen schwache Lampen brannten. Es war wie damals in New York, und ich fühlte mich unwillkürlich an das unheimliche Apartmenthaus erinnert.
Mit Ausnahme von einer alten Ritterrüstung, die den Gang mit ihrer Lanze zu bewachen schien, war niemand zu sehen. Nachdem wir sicherlich 20 Meter des Ganges hinter uns gebracht hatten, blieb Hartmann stehen und schob eine bis zur Decke reichende Flügeltür zu seiner Rechten auf.
Wir befanden uns in einer weitläufigen Bibliothek mit einer hohen Wandleiter, die sich auf Schienen bewegen ließ. Die in die Wände eingelassenen Bücherschränke waren gefüllt mit alten Lederbänden. Das Licht in dem Raum kam von zwei Messingtischlampen mit grünen Schirmen zu beiden Seiten eines Polstersofas, in dem ein älterer graumelierter Herr in den 60ern saß, der offenbar bis zum Augenblick unseres Eintretens in einem der vielen Bücher gelesen hatte. Er klappte das Buch zu und legte es neben sich auf ein Beistelltischchen, dann erhob er sich und kam mit ausgestreckten Händen auf uns zu.
Er begrüßte Hartmann und wandte sich dann mir zu: »Herr Goltz, ich bin erfreut, Sie heute Abend bei uns begrüßen zu dürfen.« Er hielt meine Hand einen Moment länger fest, als es üblich war, und sah mich erwartungsvoll an. »Man hat mir bereits von Ihnen erzählt.«
»Ich hoffe, nur Gutes.«
»Mein Wissen stammt von Ihrer werten Schwester«, sagte er und verzog das Gesicht zu einem doppeldeutigen Grinsen. »Allerdings habe ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt! Mein Name ist Karl Wilhelm Santor.«
Ein eigenartiger Name, dachte ich, und es kam mir in den Sinn, dass mir kein Name eingefallen wäre, der besser zu meinem Gegenüber gepasst hätte als dieser.
Santors Gesicht war etwas blass und dennoch nicht bleich, er hatte dicke graue strähnige Haare und dunkle Augen, die demjenigen, der ihn befragte, Blitze entgegenzuschleudern drohten. Doch trotz des diabolischen Zugs, der ihm anhaftete, war es kein unfreundliches Gesicht. In seinem Tweedanzug wirkte Santor in der besonderen Atmosphäre des Raums wie ein geheimnisvoller und sonst ganz netter englischer Lord.
Stand ich dem höchsten Priester des Ordens gegenüber? Dem Vorsitzenden der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern‹ – dem Pharao? Arnheim hatte mir erzählt, dass Santor einer der Gründer der Gesellschaft gewesen war, und obwohl ich mir diesen geheimnisvollen Pharao oder Gründervater ungefähr so wie Santor vorgestellt hatte, war ich von seiner einnehmenden Erscheinung überrascht.
»Herr Santor, vielen Dank, dass ich hier sein darf.«
Wir setzten uns in die schweren Sessel. »Ich bin froh, dass Sie den Weg zurück in unsere Gemeinschaft gefunden haben«, erwiderte Santor. »Gewissermaßen haben Sie doch immer zu uns gehört.«
»Geben Sie mir nicht das Gefühl, ich sei ein heimgekehrter verlorener Sohn.«
»Sind Sie es denn nicht?«, lächelte Santor. »Es ist keine Schande, ein heimgekehrter verlorener Sohn zu sein.«
Mein Blick fiel auf seine linke Hand, an der er einen sternförmigen Saphir trug, der, gefasst in einen goldenen Ring, zwei ineinander verschlungene Nattern darstellte.
»Ein Mensch ist dort zu Hause, wo er eine Aufgabe hat«, fuhr Santor fort. »Wir werden Ihnen eine Aufgabe geben. Wenn Sie nur wollen, werden Sie bei uns finden, wonach Sie schon immer gesucht haben. Dann – das kann ich Ihnen versprechen – werden Sie gewiss das Gefühl haben, endlich zu Hause angekommen zu
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