Spittelmarkt
in geheime Ziele gefährlicher nationaler Kreise eingeweiht und berichtete mir von Untaten, die im Namen ihrer früheren Freunde begangen wurden. Darüber hinaus war sie ein Mensch mit starken visionären Kräften und im Hinblick auf Deutschlands zukünftige Entwicklung von bösen Vorahnungen erfüllt. Sie war entschlossen, gegen diese Entwicklung anzukämpfen und all ihre Möglichkeiten, auch ihre Verbindungen zu höchsten Regierungskreisen, dafür zu nutzen.«
»Das alles machte sie natürlich zu einer stark gefährdeten Person, die es zu beschützen galt«, sagte Judith nachdenklich.
»Ich habe Florence vor einer überstürzten Rückkehr nach Amerika gewarnt«, erwiderte Martin Wolfrath, »aber sie glaubte, dass sie keine Zeit mehr habe und in ihrer Heimat mehr für Deutschland tun könne. Wäre sie geblieben, hätte man wohl keinen Todesengel zu ihr geschickt. Sie musste nicht sterben, weil sie der ›Gesellschaft der Brüder und Schwestern‹ den Rücken kehrte, sondern weil sie zurück nach Amerika gegangen ist.«
»Worin liegt denn der Unterschied?«, fragte Judith.
Dr. Martin Wolfrath rieb sich das Kinn. »Die Rückkehr nach Amerika war so etwas wie das Überlaufen zu einem Feind. Fahnenflucht ist das Eine, Verrat etwas Anderes. Florence hat nicht nur ihre früheren Freunde verlassen, sondern sie hat nach deren Ansicht buchstäblich die Seiten gewechselt.«
»Wer sind denn die ›Gesellschaft der Brüder und Schwestern‹, dass sie in Amerika Feinde haben?«, wunderte sich Judith.
»Einige von ihnen sind Schwarzmagier der allerschlimmsten Art«, erklärte Wolfrath. »Man kann sie nicht ignorieren, sondern muss sie bekämpfen. Und weil da, wo schwarzmagische Kräfte heraufbeschworen werden, sich alsbald Gegenkräfte bilden, haben diese Leute allen Grund, sich vor Verrätern aus den eigenen Reihen zu fürchten und danach zu trachten, diese unschädlich zu machen. Noch können sich diese schwarzen Künstler nämlich nicht sicher sein, dass sie ihre Ziele erreichen werden. Denn jeder Verräter aus den eigenen Reihen kann das Mosaiksteinchen sein, an dessen Fehlen ihr schwarzmagisches Gebäude zerbricht.«
»Schwarze Magie als ein Mittel der Politik«, sagte ich, »ich mag nicht daran glauben!« Aber noch während ich das sagte, musste ich an Wilhelm Santor denken, und daran, dass es gefährlich wäre, einen solchen Mann zu unterschätzen.
»Wir wissen sehr wenig darüber, welche Kräfte auf die Entwicklung unserer Geschichte einwirken«, gab der Doktor zu bedenken. »Es sind nicht nur die Dinge, die man auf der Oberfläche sieht.«
»Können Sie sagen, wer die treibenden Kräfte in der ›Gesellschaft der Brüder und Schwestern‹ sind?«, wollte ich wissen. »Und welche Personen treffen die Entscheidungen?«
»Ich konnte von Florence darüber nichts Genaues in Erfahrung bringen«, antwortete Wolfrath, »insbesondere nicht, wer dieser Pharao ist. Nicht von ungefähr handelt es sich um eine Geheimgesellschaft. Die Rolle eines Mannes wie Philipp Arnheim ist allerdings nicht zu unterschätzen.«
»Denken Sie, dass Arnheim selbst den Auftrag erteilt hat, seine Frau umzubringen?«, fragte Judith.
»Florence hat mir davon erzählt, wie er sich im Laufe der Zeit von einem aufmerksamen Ehegatten zu einem obskuren Okkultisten wandelte. Sie wollte diese Entwicklung nicht mitvollziehen, deshalb kam es schon vor Jahren zwischen den beiden zum Bruch. Nachdem sie ihn verlassen und die Seiten gewechselt hatte, spielten eheliche Bande für Philipp Arnheim keine Rolle mehr. Wer immer auch entschieden hat, Florence zu eliminieren – Philipp Arnheim hat dazu beigetragen, dass der Beschluss umgesetzt wurde. Von ihrem Ehemann konnte Florence sich keine Hilfe erwarten.«
»Wissen Sie etwas über Wilhelm Santor?«
»Der Mann ist kaum zu greifen«, wusste Dr. Wolfrath, »eine dubiose Gestalt. Man ist geneigt anzunehmen, dass er Einfluss besitzt; auf der anderen Seite gehört er einer verschwindenden Generation an, die – wie Florence mir versicherte – durch radikalere Gestalten ersetzt wird.«
»Wahrscheinlich ist es fast unmöglich, die Strukturen in einer solchen Geheimgesellschaft aufzudecken«, sagte Judith. »Strenge Schweigegelübde und drakonische Sanktionen bei Verstößen schotten sie fast vollständig nach außen ab.«
Ernst Wolfrath nickte. »Es ist die Aufgabe ihrer Mitglieder, im Verborgenen zu agieren und anderen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, Förderung angedeihen zu lassen.«
»Das führt
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