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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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nicht erkannt?«
    »Sie wollen mir doch jetzt wohl nicht weismachen, dass es Oskar Behrend war, der mal eben aus dem Jenseits zu Besuch gekommen ist.«
    Er lächelte. »Es gibt ein paar Leute, die glauben das.«
    »Ja, der menschlichen Dummheit sind zumeist keine Grenzen gesetzt.«
    Olden richtete den Blick in die Ferne und sah einige Zeit so aus, als dächte er über mehrere mögliche Entgegnungen nach.
    »Spiritistische Phänomene haben eine eigenartige Natur«, meinte er schließlich. »Man kann an Erscheinungen wie den Auftritt Oskar Behrends glauben oder nicht. Man kann sogar gleichermaßen sagen, dass sie wahr und dass sie nicht wahr sind. Beides wäre richtig! Wenn jemand sagt, das Phänomen sei ein fauler Zauber, so hat er in gewisser Hinsicht recht, aber wenn er annimmt, es sei echt, dann stimmt es genauso!«
    »Was haben Sie selbst denn für eine Meinung?«
    »Ach, man darf die Erscheinung in ihrer Bedeutung nicht überschätzen«, entgegnete er mit einem Lächeln. »In früheren Zeiten wären die Menschen über ein solches Phänomen kaum erstaunt gewesen – doch der heutige rational orientierte Mensch lässt sich durch Dinge, von denen er meint, dass es sie eigentlich gar nicht geben dürfte, umso leichter beeindrucken. Dieser Eindruck ist aber auch eine Wirkung, die genutzt werden kann. Das ist ein Grund dafür, weshalb Leute wie Santor derartige Phänomene gern inszenieren.«
    »Soll das heißen, dieser Zauberpriester ist nur erschienen, um die Zuschauer zu beeindrucken?«
    Er lachte. »Da liegen Sie gar nicht so falsch. Ein bisschen Hokuspokus kommt immer gut an.«
    »Dazu noch eine deftige Prise Erotik – eine prima Mischung.«
    »Nicht wahr? Um ein gewünschtes Ergebnis zustande zu bringen, müssen immer mehrere Kräfte zusammenwirken. Nicht nur der Zauber, nicht nur die erotische Energie – auch Sie selbst und die anderen Zuschauer waren zum Gelingen der Illusion notwendig. Im stillen Kämmerlein wäre das, was Veronika und ich miteinander taten, nur ein Vergnügen gewesen; so aber konnte mehr daraus entstehen. Falls Sie jetzt wissen möchten, was daraus entstanden ist, sollten Sie besser die kleine Veronika fragen!«
    »Finden solche Einweihungszeremonien in diesem Hause öfter statt?«
    »Lassen Sie es mich so sagen«, antwortete er. »Wir sind eine Gesellschaft, deren Mitglieder zuweilen zur Feier der Magie des Sexuellen zusammenkommen. Jedoch nur gelegentlich; und nur ein schönes Mädchen wie Veronika ist geeignet, auf eine solche Weise ihre Einweihung zu erfahren. Der Weg der meisten Neophyten dauert länger und ist beschwerlicher – Sie müssen selbst sehen, welcher Weg der Ihrige ist.«
    »Es gibt auch Wege und Möglichkeiten außerhalb dieser Gesellschaft.«
    »Wenn Sie das bereits erkannt haben, möchte ich Ihnen raten, bei Ihren Zweifeln zu bleiben«, sagte er zu meiner Überraschung. »Denken Sie an Florence! Wenn Sie der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern‹ erst einmal angehören, gibt es kein Zurück mehr für Sie!«
    »Mir ist klar, dass ich die Konsequenzen einer Entscheidung tragen muss, auch wenn es die falsche ist. Manche Ihrer Vereinskameraden scheinen nur der Ansicht zu sein, ich hätte gar nicht die Alternative, mich gegen diese Gesellschaft zu entscheiden.«
    Sein Blick driftete für eine Weile von mir fort. »Es könnte bald so kommen«, gab er dann zu bedenken, »der Tag, an dem in diesem Land andere Leute als die jetzt Regierenden die Marschrichtung bestimmen werden, ist nicht mehr fern.«
    Sein eindringlicher Blick kehrte zu mir zurück. »Haben Sie schon einmal erwogen, Deutschland zu verlassen?«
    Mit einer solchen Frage hatte ich am allerwenigsten gerechnet, deshalb versuchte ich, mir auf keinen Fall anmerken zu lassen, wie überrascht ich war. Olden war kein Dummkopf, und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er nicht nur mit seiner Einschätzung in Bezug auf die allgemeine politische Lage, sondern auch hinsichtlich meiner ganz persönlichen Situation gar nicht so weit daneben lag.
    »Ich werde darüber nachdenken müssen«, erwiderte ich. »Aber gibt es eine Möglichkeit, Ihre Schwester wiederzusehen?«
    »Ich werde ihr von Ihrem Besuch hier erzählen«, sagte er. »Möglicherweise nimmt sie Verbindung mit Ihnen auf. Sie ist schließlich kein unehrenhafter Mensch, der Versprechungen nicht hält.«
    »Richten Sie ihr aus, dass ich sie erwarte. Ich würde mich freuen, Sie bald wiederzusehen! Ich lasse Ihnen meine Adresse hier.«
    Olden war einverstanden.

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