Splitter im Auge - Kriminalroman
nur keine Leute für eine EK «, sagte Renate Winkler, »aber ich werd’ schon was lockermachen.«
»Für heute und vielleicht auch am Wochenende können wir euch mit einem Wagen unterstützen«, sagte Gisa.
»Und ich wollte immer schon mal bei der Vermisstenstelle hospitieren«, sagte Batto und sah erst Renate Winkler und dann Rüter mit einem Blick an, der jedem klarmachen sollte, dass das nicht als Scherz gedacht war.
»Sie sind Angehöriger der Direktion Gefahrenabwehr und Einsatz, Herr Battaglino«, sagte Rüter, »wie stellen Sie sich das vor?«
»Sagte ich doch. Wir haben im Wachdienst viel mit vermissten Personen zu tun, da wollte ich immer schon mal bei Frau Winkler hospitieren, das ist doch in anderen Bereichen nicht unüblich, oder? Und so eine EK ist doch ein geeigneter Anlass.« Er wartete einen Moment. »Thomas Adam ist mein Freund, Herr Rüter, seit zweiunddreißig Jahren, und so was hat er noch nie gemacht. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Andernfalls mache ich privat etwas.«
Rüter sah ihn an und sagte: »Na, da bin ich mal gespannt, wie Sie das Ihrer Führungsstelle klarmachen wollen.«
Einen Moment sagte niemand etwas, und das Rauschen des Verkehrs von der B1 war durch das offene Fenster zu hören.
»Ist das Steigers Papier?« Jana beugte sich vor und zeigte auf die Karte, die auf dem Tisch lag.
»Nein, warum?«, fragte Batto und sah ihre Reaktion, als habe sie unüberlegt einen Fehler gemacht.
Jana atmete tief durch. »Steiger hatte die beiden letzten SMS des Mordopfers orten lassen, und wenn ich mich richtig erinnere, kamen die genau aus der Gegend.« Sie sah noch einmal auf die Karte. »Ich bin mir sogar ziemlich sicher.«
»Hast du das holländische Kennzeichen noch, für das du den Halter machen solltest?«, fragte Batto.
»Der Zettel müsste oben noch irgendwo sein. Und da war noch was.«
Alle sahen Jana gespannt an.
»Bei dem Telefonat sagte Steiger so was wie: ›Ich glaube, dass ich ihn gefunden habe.‹«
Rüter klopfte mit der Hand auf den Tisch. »Dann hat die EK ja einen weiteren Hinweis.«
51
1983
Zwei Tage vor seinem dreizehnten Geburtstag und knapp vier Wochen nach dem Unfall erwachte Maximilian Trampe aus dem Koma. Er hatte ein Auge verloren, und die Ärzte hatten gegenüber seinen Eltern von einer massiven Schädigung des Frontallappens gesprochen; man müsse wegen der Folgen abwarten. Dass es Folgen haben werde, sei sicher. Außerdem seien das Becken und mehrere Lendenwirbel gebrochen, und, das könne man jetzt schon sagen, der Junge werde Zeit seines Lebens eine Gehbehinderung haben.
Am Tag nach dem Unfall war die Polizei in dem stillen Haus erschienen und hatte den Vorfall untersucht. Sie waren nicht allein gekommen, sondern mit Fachleuten und Sachverständigen, die etliche Versuche mit der Leiter anstellten, die zum Gerüst gehörte und deren untere Holme fest am Boden verschraubt waren. Aber keiner der Männer konnte sich erklären, wie der Junge auf der Leiter stehend jenen Punkt überwunden hatte, sodass er rückwärtsgestürzt war. Das Kind müsse sehr übermütig gewesen sein, war die einhellige Meinung.
Robert Trampe hatte das alles von einem Fenster im Haus beobachtet und dabei das Gesicht seines Vaters gesehen, das immer abwesender, immer dunkler wurde, je länger die Männer diskutierten. Und obwohl er jetzt ruhig war und nicht mehr schrie wie am Tag vorher, erschien es Robert, als habe der Mann die Kontrolle über sich noch immer nicht wiedergefunden. Plötzlich sah sein Vater auf, und sein Blick traf Robert, als habe er gewusst, dass sein Sohn dort stand.
Albert Trampe betete in den folgenden Wochen wie besessen und hatte das Gefühl, Hiob zu sein, obwohl der zehn Kinder verloren hatte und er nicht einmal eines. Annemarie Trampe begegnete dieser Katastrophe, wie sie dem ganzen Leben begegnete, nämlich mit einem Rückzug in sich selbst, um dem Leben so wenig wie möglich zu begegnen. Aber alle hofften sie, die Köchin, das Hausmädchen und Georg, dass es noch gut ausgehen möge, so gut es eben ging. Und am meisten hoffte Robert.
Ein knappes Jahr später wussten sie, dass ihr Hoffen und Beten nicht völlig umsonst gewesen war, denn einiges an Maximilian Trampe war wieder wie früher. Er konnte sprechen, wie er es vorher gekonnt hatte, und seine schulischen Leistungen waren so brillant wie immer, nur dass er nicht mehr zur Schule ging. Um ihm die Beschwerlichkeit des Schulalltags zu ersparen – das jedenfalls war Albert Trampes Begründung
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