Splitter im Auge - Kriminalroman
bei den Behörden gewesen –, wurde Max von Lehrern zu Hause unterrichtet, und weil seinem Bruder die Gesellschaft guttat, galt das ab dem Tag auch für Robert, dem das ohnehin besser gefiel, als sich mit all den anderen in der Schule abgeben zu müssen.
Die Sache mit den Geschenken hatte er intensiviert. Er machte Max Geschenke, so oft er konnte, manchmal nur Kleinigkeiten, ein Spielzeug, das er gebastelt hatte, eine besondere Süßigkeit oder ein Buch. Einmal schenkte er ihm sogar einen Hamster im Käfig, den man streicheln konnte, aber Max hatte kein Interesse am Streicheln. Robert fühlte sich gut danach und hoffte, dass Max sich über diese Dinge freute, auch wenn er es nicht zeigte, wie er es früher getan hätte. Denn es war bei seinem Bruder keineswegs alles wieder so geworden, wie es vor dem Unfall gewesen war. Seine Gehbehinderung war geblieben, und alle waren schon froh, dass er nach einem Jahr begann, ohne Krücke zu gehen. Die größte Veränderung war jedoch eine andere, die alle wahrnahmen, über die aber keiner im Hause sprach, als gäbe es ein offizielles Verbot. Obwohl die Narbe in seinem Gesicht noch zweimal operiert worden war, sah der Junge weiterhin so aus, als lache er ständig, dabei war bis auf diese kleine Stelle in seinem Gesicht das Lachen aus Max Trampes Leben völlig verschwunden. Er lachte einfach nicht mehr, und von dem Kind, das einmal singend über die Flure gelaufen war und laut und fröhlich das Geräusch von Autos oder Flugzeugen imitiert hatte, war nichts mehr geblieben.
Wenn Albert Trampe sich an diese Zeiten erinnerte und seinen Sohn betrachtete, was er immer noch oft tat, und diese schiefe Gestalt beobachtete, die jetzt oft einfach nur mit ernstem Gesicht dasaß, hatte er das Gefühl, dass ihn etwas innerlich auffraß.
Immer häufiger fand man jetzt Dinge im Haus oder im Garten, die kaputt waren, einen abgeknickten Gummibaum, eine zerschlagene Vase oder herausgerissene Blumen. Eines Morgens fand Robert den Hamster tot in seinem Käfig liegen. Er erkannte, dass dem Tier das Rückgrat gebrochen worden war. Noch ehe jemand von den anderen es sah, vergrub er den kleinen Kadaver im Garten.
»Ich hab’ ein besonderes Geschenk für dich«, sagte Robert Trampe an Max’ siebzehntem Geburtstag und nahm ihn mit in den Wald. Wenn die Schmerzen in seinem Rücken es erlaubten, waren die Brüder wieder häufiger im Wald, sie gingen zu ihren alten Plätzen, und Robert sprach von früher, aber es war nicht wie früher.
An diesem Tag gingen sie zum Spalt.
»Ich bin unten gewesen«, sagte Robert, »das wolltest du doch immer. Jetzt hab’ ich es getan, für dich.« Dann führte er seinen Bruder zu einem kleinen Felsunterstand und zog eine alte Munitionskiste der deutschen Wehrmacht aus dem Gebüsch, auf der ein paar verblasste Zahlen zu sehen waren.
Robert öffnete die Kiste, die voll alter Stielhandgranaten war, und nahm eine heraus. »Da unten ist noch mehr davon«, sagte er. »Das war es, was wir immer gesehen haben. Es muss ein altes Depot sein. Und sie funktionieren noch, ich hab’ es ausprobiert.« Er sah seinen Bruder an. »Willst du auch mal? Es wird dir riesigen Spaß machen, ich weiß, wie es geht.«
In einer kleinen Senke in der Nähe des Hügels hatte er ein Loch ausgehoben, wie er es irgendwo gelesen hatte, und zeigte Max, welchen Knopf er am Kopf der Granate ziehen musste. Dann gab er ihm den Holzstiel in die Hand, und beide stellten sich so, dass sie mit einem Schritt hinter einem Felsen Schutz suchen konnten. Max zog an dem Knopf, den Robert ihm gezeigt hatte, und warf die Granate in das Loch. Die Explosion war lauter als alles, was Max bisher gehört hatte, und an dem Tag ließen sie noch zwei Granaten explodieren. Als sie danach an dem Loch standen, das von der Wucht viel größer geworden war als vorher, hatte Robert den Eindruck, dass Max sich freute, aber er war nicht sicher.
Wenige Wochen danach bekam Robert Trampe das Pfeiffersche Drüsenfieber und musste für ein paar Tage ins Krankenhaus. Eine der Schwestern, die ihn täglich pflegten, war Linda, und ihr gefiel der Junge mit den blonden Locken und den faszinierenden Augen so sehr, dass sie ihm am Tag der Entlassung sagte, sie würde ihn gern wiedersehen.
Robert war damit einverstanden, weil er bei ihren Berührungen etwas gespürt hatte, was ähnlich, aber viel stärker war als das, was er beim Betrachten von Dieters Zeitungen in der Hütte spürte.
In der Woche danach traf er sich zum ersten Mal mit
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