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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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besten Freunden sollte man keine Fehlversprechen geben.

12
    I rgendwann verändert sich alles. Spätestens dann, wenn man die Väter von ehemaligen Klassenkameraden als Kunden hat. Wenn man mit einem Vater schläft, mit dessen Sohn man auf der letzten Klassenfahrt Flaschendrehen gespielt hat. Wenn man mit einem Vater essen geht, der dabei von seiner Familie erzählt, von seinem Sohn, den man seit der Kindheit kennt. Dann verändert sich alles.
    Beim ersten Mal musste ich grinsen. Es ist schwer, vernünftig zu blasen, wenn man dabei grinst wie ein Honigkuchengrinsepferd, aber ich konnte nicht anders. Die Ironie hat ihre Finger ausgestreckt und hämisch lachend auf mich gedeutet. Dabei habe ich es am Anfang gar nicht bemerkt, ich hätte Bens Vater allein vom Aussehen her niemals wiedererkannt. Aber während wir zusammen im Bett lagen und ich mit sanften Lippen seine Schwanzspitze umkreist habe, hat es in meinem Kopf plötzlich
PLOPP
!
gemacht. Und dann habe ich kapiert, dass er mir gerade erzählt hatte, in welcher Straße er wohnt und dass seine siebzehn und dreiundzwanzig Jahre alten Kinder noch bei ihm leben. »Ups«, dachte ich, »wohnt da nicht Ben?« Und dann habe ich gegrübelt, wie alt sein kleiner Bruder wohl sein könnte, siebzehn kam mir ziemlich realistisch vor. Dann wurde mir Bens Ähnlichkeit mit den Gesichtszügen des Mannes neben mir bewusst und dann auch noch der vertraute Klang seiner Stimme. Vor Schreck hätte ich mich fast an dem Penis verschluckt.
    Dann musste ich grinsen.
    Und konnte nicht mehr aufhören.
    Zum Glück war es dunkel in dem Hotelzimmer, und Bens Vater hatte die Augen zu. Er wollte keinen »richtigen Sex«, nur Zärtlichkeit und ein bisschen Französisch. Er wollte ein Stück von meinem Lächeln, meine weiche Haut unter seinen Händen und meine liebliche Stimme, ganz dicht an seinem Ohr. Das habe ich ihm gerne gegeben. Ich hatte nur Angst, dass er mich wiedererkennen könnte und dass er sich dann schlecht fühlen würde. Aber er hatte keine Ahnung, wer ich bin.
    Und ich wusste, wenn so etwas einmal passiert, dann passiert es auch wieder. Denn Zufälle sind der beste Beweis für ein unberechenbares Schicksal. Außerdem ist Berlin verdammt klein, wenn man es an den Männern misst, mit denen ich schon geschlafen habe.
    Ich muss meine Kunden mittlerweile nicht einmal kennen, um zu wissen, was sie wollen. Ich sehe es in ihren Augen, ich sehe ihre Geilheit. Ich flechte mir zwei Zöpfe mit roten Schleifen darin, und schon kriege ich alles, was ich will. Ich vergesse einen Slip unter meinen Rock anzuziehen, ich lasse mit einem verspielten Lächeln einen Träger meines Kleides über meine Schulter hinabgleiten. Ich war noch nie so schön, wie ich es für einen Mann bin, der mich begehrt. Ich war noch nie so vollkommen wie in den Augen eines Freiers.
    Doch Sex für Geld hat nie meine Seele berührt. Sex für Geld war immer nur ein Spiel, dessen Regeln ich meisterhaft beherrsche. Mich darin zu schlagen wird niemals leicht sein. Aber ich weiß trotzdem: Nur weil ich gut blasen kann, werde ich noch lange nicht geliebt.
    Im Wesentlichen ist das Leben ziemlich simpel: An jedem Schwanz hängt irgendein Mann.
     
    Eines Tages, ganz bestimmt, wenn ich all das überlebt habe, werde ich zurückblicken und lachen und den Kopf über mich schütteln. Vielleicht weine ich auch ein bisschen, weil es eine schöne Zeit war. Und eine schreckliche zugleich. Weil ich einsam war und dabei trotzdem so vielen Menschen nah gewesen bin. Weil ich erwachsen werden durfte, weil ich gewachsen bin, über die Hürden hinaus, die das Leben mir gestellt hat.
    »Ich hatte sie!«, können Tausende von Männern über mich sagen.
    Und wer weiß, wie viele von ihnen lügen und wie viele die Wahrheit sagen. Am Ende werde ich mich erinnern: Ich war eine gute Geliebte. Ich war ein Mädchen der Verführung.
    Ich war keine Hure, keine Nutte.
    Das klingt so eiskalt.
    Und ich hatte Wärme zu geben.
    Das weiß ich mit Sicherheit.
     
    Meine Alpträume verwandeln sich in ein Chaos aus seltsamen Bildern und neuen Zeiten. Ich sehe mich in einem großen hellen Vorlesungsraum. Es ist Frühsommer, draußen blüht der leuchtend rote Klatschmohn, und die Sonne fällt durch die hohen Fenster auf die vollbesetzten Stuhlreihen. Alle Menschen, die ich kenne, sind dort. Unbedeutende, bedeutende. Freunde, Verwandte, Bekannte, ehemalige Klassenkameraden, Verehrer, Lehrer, Arbeitskollegen … Aber keine Kunden.
    All diese Menschen sind eingeladen zu

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