Splitterfasernackt
näher an sich heran, schlingt die Decke um mich und gibt mir einen von diesen grobsanften Küssen auf die Stirn. Anschließend murmelt er etwas, das ich nicht verstehen kann, etwas, das ich nicht verstehen muss; denn ich weiß auch so, dass es Zärtlichkeit bedeutet.
Zärtlichkeit.
Kein Wort, keine Geste ist anmutiger.
Keine Aufmerksamkeit so schön.
Und fremd zugleich.
Und während Chase wieder einschläft, während die letzten Tränen trocknen, schließe ich heimlich meine müden Augen.
Es ist ein Kampf, neben einem Mann im Bett zu liegen.
Es ist ein Kampf, freiwillig neben einem Mann im Bett zu liegen.
Und es ist ein noch viel härterer Kampf, zwei Abende hintereinander, freiwillig, neben dem gleichen Mann in seinem Bett zu liegen.
3
Z wei Wochen arbeite ich jetzt schon im Bordell. Ein neues Gefühl ist in mir, ich kenne es nicht, aber es kommt mir trotzdem irgendwie bekannt vor. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie es heißen könnte.
Dann fällt es mir ein: Glück. Es brennt. Wie tausend Ameisenbisse oder mehr.
»Ich bin glücklich«, flüstere ich mir zu.
»Ich bin glücklich«, flüstere ich etwas lauter, damit ich es auch wirklich glaube.
Es ist eine Illusion. Natürlich. Kein Mensch, der einen wandelnden Haufen suizidaler Verhaltensstörungen verkörpert, geht auf den Strich und fühlt sich anschließend wie ein Hai, der nach einem halben Surfbrett, zwei Tauchern und zwei verrosteten Angelhaken endlich einmal wieder eine dicke fette Robbe zwischen die Zähne bekommt. Wenn es so einfach wäre, dann würden wir alle um unser Leben vögeln.
Aber Illusion hin oder her, ich bin glücklicher als in den Wochen zuvor. Die Unruhe in mir ist nicht mehr so tobend, meine Zukunft läuft nicht ganz so schnell in die falsche Richtung, wie sie es sonst gerne tut; sie steht sogar still und wartet ab, was passiert. Meine Lungen pumpen Sauerstoff in meine Blutbahn, wer hätte gedacht, dass man so etwas spüren kann.
Ich tippe Nutte in meinen Laptop. Dann Hure. Prostituierte. Lustmädchen. Konkubine. Professionelle. Companion. Sexarbeiterin. Anschließend betrachte ich nachdenklich die Buchstaben, sie glänzen mich an. Ausdruckslos.
Als wären es nicht meine Worte.
Mein Leben verliert seinen mir bekannten Rhythmus; alles verändert sich, die Zeit vergeht schneller und schneller. Sie hört auf, sich lahm wie eine Schnecke über endlos große Felsbrocken zu schleimen, und fängt an zu laufen. Sie rennt, sie hüpft, vielleicht tanzt sie auch ein bisschen.
Ehe ich michs versehe, ist die erste Woche um, dann auch schon die zweite. Ich atme Luft, die nicht ausgeatmet schmeckt, obwohl ich doch dachte, es gäbe sie nur so.
Ich weiß: Am Ende zählt die unbezahlte Zeit.
Sie allein ist von Wert.
Aber trotzdem verkaufe ich mich.
Die Augen von meinem ersten Kunden werde ich nie vergessen. Und sein Lachen auch nicht. Er konnte keinen Ton Deutsch und ungefähr sieben Worte Englisch. Wir haben uns mit einem Kauderwelsch aus allen möglichen Sprachen verständigt, und alles, was er von mir wollte, war berührt zu werden.
Es war seltsam, neben ihm zu liegen, das weiche Licht auf der Haut zu fühlen. Er lag einfach nur da, ganz still auf dem Rücken, er hatte seinen rechten Arm um mich gelegt, und ich konnte sein Herz so deutlich schlagen spüren, als würde es mir gehören.
»Das kommt oft vor«, erklärt Brittany mir später, »Männer sind ein herumstreunendes unsicheres Pack! Sie sind zwar ständig geil wie Nachbars Lumpi, aber abgesehen davon sind sie eigentlich nur süchtig nach liebevoll verabreichter Aufmerksamkeit.«
»Ja«, stimmt Marla ein, »nicht alle wollen Sex. Viele Männer brauchen Nähe von Mädchen. Geborgenheit – so heißt das in Deutsch? Ja? Ein bisschen reden und streicheln und zusammen sein. Vor allem Escort ist gut. Du kannst gehen essen oder was trinken, vielleicht auch zu eine Party. Und manchmal Sex oder auch nicht, wenn du Glück haben, dann nur Massage und ein bisschen Französisch.«
»Du bist so süß, wie ein kleines Engel«, wirft Dasha ein. »Bestimmt du wirst haben viele Stammgäste, was nur kommen, um dich lächeln zu sehen, und wenn du ihnen gibst einen Kuss, sie werden hin und weg fallen.«
Merkwürdig, wie schnell man sich daran gewöhnt, in Dessous durch ein Bordell zu laufen, unbekannte Männer zu küssen, Kondome überzustreifen, benutzte Kondome wieder abzustreifen.
Im Passion heiße ich Felia. Ich muss nicht mehr Lilly sein; ich darf einen Körper haben,
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