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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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ohne durchzudrehen, und ich darf mich sogar hübsch finden, wenn ich nichts anhabe.
    Ana hat immer gesagt: »Du bist fett, du bist potthässlich. Dein Körper ist unerträglich.«
    Und ich habe ihr aufs Wort geglaubt. Niemals hätte ich daran gezweifelt. Aber hier im Passion lässt Ana mich manchmal in Ruhe. Sie lauscht mit skeptischem Blick den Männern, die mir Komplimente machen, die meinen Körper berühren, als wäre er ein Kunstwerk. Sie lauert, sie ist nicht bereit zu verschwinden, aber für den Moment hört sie auf, mich zu verblenden.
    Meine helle Haut sieht neben all den anderen solariumgebräunten Mädchen noch viel weißer aus als sonst.
    »Wie eine Puppe«, findet Marla und streicht mir über die Taille, »oder wie Milch.«
    Dann lacht sie und hält mir eine Packung Mandelkekse vor die Nase.
    »Du musst etwas essen, Felia!«, sagt sie. »Sonst du irgendwann umkippen und wir alle traurig.«
    Ich mag Marla, ich will sie nicht verletzen, also nehme ich einen Keks, beiße in winzigen Bissen davon ab, kaue und kaue. Und schlucke das Leben.
    Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich vor einer der großen Spiegelwände stehe und meine Hüftknochen und Rippen abtaste, aus Angst, sie könnten zu weit hervorragen. Ich berühre meine winzigen Brüste, sie sind kaum noch da. Wie es wohl wäre, wieder einen BH tragen zu können?
    Irgendwann.
    Die anderen Frauen haben keine Freundinnen, die Ana oder Mia heißen. Stattdessen sind sie jeden Tag perfekt zurechtgemacht, mit viel Make-up, Lipgloss, Bodypowder und mit edlen, strassverzierten Markendessous. Am Anfang bin ich verunsichert, ob ich jetzt auch auf riesigen Absatzschuhen durch die Flure klackern muss und ob Männer wirklich so dringend unechte Brüste und ewig lange Wimpern brauchen.
    Aber es ist okay, anders zu sein. Es ist okay, barfuß zu laufen. Ich habe trotzdem genug Gäste, die mich zwischen all den schönen Frauen heraussuchen und mir ins Ohr flüstern: »Ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden wie dich hier kennenlerne.«
    Das hätte ich auch nicht gedacht.
    Denn ich habe längst vergessen, mich zu kennen.
    Felia. Lilly. Felia. Ich betrachte die Fotos von mir im Internet: Mein Gesicht ist verdeckt, mein Inneres auch. Ein Traummädchen, auf glänzenden Fotos, bildhübsch, unerkannt, sexy, sanft, sinnlich, fremd. Meine Augen wandern über den Körper, der zu mir gehört. Ich lege meinen Kopf schräg und wäge ab.
    Es ist schwer, leicht zu tragen zu sein.
     
    Hochsommer. Die Luft ist heiß, an den Abenden riecht der Wind nach aufziehenden Gewittern, und ich schlafe in einem kurzen weißen Nachtkleid, ohne Decke, und fühle mich dünner als sonst. Seit fast drei Monaten bin ich nun ein Passion-Mädchen, ein geheimes Mädchen der Lust. Es hat nicht einmal fünf Tage gedauert, bis ich aufgehört habe, die Männer zu zählen, und schon nach etwas mehr als einer Woche ist der Geschmack von Kondomen zu etwas Alltäglichem geworden.
    Ich weiß jetzt, wie ich einen Mann mit meiner Zunge so verwöhnen kann, dass er einen Orgasmus hat, der gewaltiger ist als ein Erdbeben. Ich habe gelernt, meinen Körper so verführerisch wie nur möglich auf einem Bett zu rekeln und zu strecken, ohne dabei mein süßes Seufzen zu vergessen.
    Was ist nur geschehen?
    Sex hat mir immer schreckliche Angst gemacht.
    Sex stand immer als durchgestrichene Zahl auf meinem Strichcode.
    Und das kleine Mädchen hat mich jedes Mal gefragt: »Wie kannst du so etwas nur freiwillig machen?« Es hat mich angestarrt, mit seinen riesigen, anklagenden Augen. Und ich wollte ihm erklären, wie das ist, älter zu werden, einen festen Freund zu haben, oder vielleicht einfach einen guten Freund; dass Sex auch etwas anderes sein kann als nackte Gewalt. Aber irgendwie habe ich nie den Mund aufbekommen. Der vorwurfsvolle Blick des kleinen Mädchens hat mich stets verstummen lassen, bevor ich auch nur ein Wort gesagt habe, und ich wusste, es würde mir nie erlauben, Sex zu haben, einfach so, weil es schön ist. Ich wusste, es würde für immer neben mir stehen und mich daran erinnern, wie es war, als ich ein Kind war – wie es war, als ich mir meine Fingernägel in die Seele gebohrt hätte, um mich zu betäuben, wenn es nur irgendwie möglich gewesen wäre.
    Aber nun hüpfe ich halbnackt im Passion umher, schäle mich mit wiegenden Hüften aus einem knappen Minirock und dem dazu passenden knallengen Top, lasse meine Hände spielerisch über meine Brüste gleiten und schlafe ganz nebenbei mit wildfremden

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