Splitterfasernackt
manchmal traurig, weil sie ihre Kinder sehr vermisst, und außerdem hat sie viel zu wenig Kunden, als dass sich die Warterei für sie rentieren würde.
Die meisten Männer, die hierherkommen, finden Slavenka zu üppig, sie wollen lieber schlanke Frauen. Aber jedes Mal, wenn es klingelt und wir uns vorstellen, hoffe ich, dass Slavenka von einem netten Gast ausgewählt wird, der ihr viel Trinkgeld gibt. Sie braucht ihren Lohn wahrscheinlich am dringendsten von uns allen. Ich überlege sogar, ob ich ihr ein bisschen von meinem Verdienst abgeben sollte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es nicht annehmen würde. Und außerdem will ich nicht, dass Slavenka denkt, dass ich sie nur mag, weil ich Mitleid mit ihr habe.
Die Balkontür steht zum Lüften offen, ein kühler Wind weht durch die orangeroten Stoffvorhänge zu uns herein, und da Slavenka und ich nur wenige Zentimeter Stoff am Körper tragen, frieren wir trotz der zwei Laken und der Wolldecke, in die wir uns gewickelt haben.
Da geht die Tür auf, und Marla steckt ihren Kopf herein.
»Felia, du auch machst Escort?«, fragt sie.
»Ja«, sage ich und bin überrascht – denn wir bekommen nur sehr selten Anrufe wegen Escortterminen, und ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, ausgewählt zu werden, da mein Gesicht auf den Fotos im Internet unkenntlich gemacht wurde.
»Es geht um eine Stammkunde«, erklärt Marla. »Eine sehr, sehr liebe Mann. Wir kennen ihn schon viel lange. Er wohnen in eine große Villa in Schmargendorf, und ab und zu er bestellen eine Mädchen zu sich in Hause. Für zwei, drei Stunde, ist kaum weit von hier. Eriko ist nicht da heute, so ich rufe dir Taxi, wenn du machen möchtest. Er wirklich ist sehr lieber Mann, ich waren auch da. Zuerst du trinken Sekt mit ihm und unterhalten, dann er dich machen Massage, er kann so gut und ein bisschen streicheln, und wenn du magst auch Sex, du ihm einfach sagen, nichts müssen.«
»Okay, gerne«, sage ich. »Jetzt gleich?«
Marla wirft einen Blick auf die Uhr.
»Nein, erst in eine Stunde«, sagt sie dann. »Ich rufen Dasha an und sagen ihr, dass du machen Termin. Kunde ist gutes Freund von ihr.«
Während Marla zurück in den Aufenthaltsraum geht, um zu telefonieren, versuche ich Slavenka zu erklären, dass ich gleich meinen ersten Escort habe. Sie versteht mich nicht so ganz, also versuche ich es ihr auf einem Blatt Papier aufzuzeichnen. Slavenka blickt auf meine Zeichnung, zuckt hilflos mit den Schultern und fängt an zu lachen. Dann knurrt mein Magen, wahrscheinlich, weil ich heute noch nichts gegessen habe außer einem Kaugummi, einer halben Salzstange und einem zuckerfreien Cornflake. Slavenka springt auf, sagt etwas auf Russisch, das ich nicht verstehe, und fügt dann auf Deutsch hinzu: »Du essen. Du so dünn. Du Bauchweh!«
Dann wühlt sie in ihrer Tasche und hält mir ein Brötchen hin.
»Danke«, sage ich, »vielen Dank.«
Slavenka nimmt sich auch ein Brötchen, und wir legen uns wieder gemeinsam unter die Kuschellaken, wo wir dann schweigend essen. Die Brötchen krümeln, und ich breite meinen Pulli vor uns beiden aus, damit wir nachher nicht das ganze Bett ausschütteln müssen.
»Ich mag gerne Brötchen«, lüge ich.
»Ich auch mögen«, erwidert Slavenka. »Bäcker, gleich hier. Und nicht teuer. Nähe McDonald’s bei U-Bahn. Nur acht Cent ein Brötchen.«
Es ist ein komisches Gefühl, das Brötchen zu essen, denn ich erbreche nicht gerne im Passion, also muss ich viel von dem, was ich hier zu mir nehme, auch im Bauch behalten. Es gibt Tage, an denen ich gar nichts esse. Tage, an denen Ana ungehalten tobt und mich wütend fragt, wie ich nur so schwach sein könnte, überhaupt an Essen zu denken. Aber seit ich hier arbeite, ist es manchmal okay, etwas zu essen, ohne dass ich anschließend panisch ins Bad hetzen muss. Zwischen all den schönen weiblichen Körpern, den weichen Brüsten, den großen knackigen Hintern, die unter kurzen Röcken hervorblitzen und nur von einem Stringtanga verdeckt hin und her wackeln, da fühlt es sich nicht ganz so schlimm an, einen Körper zu besitzen.
Manchmal, selbst wenn es nur für einen winzigen Moment ist, vergesse ich, dass Ana mein Leben ist und dass ich ihr versprochen habe, bei ihr zu bleiben, bis zum Schluss, bis zum bitteren Ende – ohne Kompromisse. Und in diesen Momenten bin ich frei, dann kann ich Nudeln essen oder ein Stück Pizza, einfach so. Als wäre ich normal.
Während wir mit den Brötchen beschäftigt sind,
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