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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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kleines Bordell, die Preise sind gehoben, und dementsprechend haben wir auch selten besoffene Laufkundschaft, die für einen schnellen Fick vorbeigeschwankt kommt. Für viele Frauen ist es deshalb eine zu lange Warterei, da gehen sie lieber in ein Bordell mit einer niedrigeren Preisklasse, aber dafür mehr Gästen, auch wenn das oft nur Quickies sind und man sich sein Geld schwer erarbeiten muss. Das erzählt mir jedenfalls Monique, die alle Nachtclubs und Bordelle in Berlin in- und auswendig kennt.
    Ach ja, ein Mädchen hätte ich beinahe vergessen.
    Da bin auch noch ich.
    Ein weiteres Passion-Mädchen, ein weiteres Mädchen der Lust. Wie ich aussehe, habe ich wahrscheinlich schon zur Genüge beschrieben: Ich bin der dürre Alien mit der blassen Haut. Wenn ich ganz still stehe und die Luft anhalte, kann man mich fast übersehen. Morgens aufzuwachen macht mir genauso viel Angst, wie morgens nicht mehr aufzuwachen. Meine beste Freundin heißt Ana. Meine andere beste Freundin heißt Mia. Meine richtige beste Freundin ist tot. Ein Tag, an dem mir nicht schwarz vor Augen wird, ist ganz bestimmt kein Tag von mir. Und wer verleiht schon gute Tage?
    Ich weiß: Angst. Ohne Widerstand.
    Ist das stumpfsinnigste Verderben.
    Und Hungern.
    Ist Angst.
    Aber mein Wissen ist ein unbeteiligter Zeitgenosse.
    Ein stiller Beobachter im Exil.
    Meine Ärztin sagt jedes Mal, wenn ich bei ihr aufkreuze: »Versuche, auf 47  Kilo zu kommen, Lilly, dann wirst du dich gleich ganz anders fühlen, nicht mehr so krank und schlaff. Und ab 48 oder 49  Kilo bekommst du dann auch deine Periode wieder, wäre das nicht schön?«
    Nein.
    Nein danke.
    Meine Vorstellung von schön ist eine andere.
    Ich hasse meine Periode.
    Wenn ich bluten will, kaufe ich mir Rasierklingen.
    Ich werde niemals 49  Kilo wiegen. Eher würde Ana ihr gewetztes Messer zücken und mich in Streifen schneiden, nur um mich anschließend in einer schwarzen Restmülltonne zu entsorgen.
    Meine Ärztin kann Gedanken lesen, sie weiß, wie irre ich bin, und runzelt ihre Stirn.
    »Lilly«, sagt sie behutsam, »du wirst schon sehen, es wird besser werden. Und leichter.«
    Ich möchte ihr gerne glauben. Aber Ana steht neben mir und sagt wütend: »Das ist ihr Job, du dumme Kuh! Die muss dir so etwas erzählen, das hat sie fünf Jahre lang in ihrem Studium gelernt. Glaub ihr ja kein Wort. Es wird bestimmt nichts besser, wenn du schwerer wirst! So ein Schwachsinn! Es wird nur besser, wenn du leichter wirst.«
    Ana. Mia. Felia. Und Lilly. Sie sehen sich alle ziemlich ähnlich, auch wenn sie nichts miteinander anzufangen wissen und nicht dieselbe Sprache sprechen. Und wenn ich mich am Abend oder in der Nacht auf den Weg nach Hause mache, dann bin ich müde, weil mein Herz kaum noch schlägt. Eine magere Gestalt läuft mir voraus, sie heißt Ana, und sie lässt nicht zu, dass ich stehen bleibe oder aufgebe.
    Meine Wohnung ist leer, wenn ich heimkomme. Wie sollte es auch anders sein – ich habe ja keinen Freund mehr, das würde Ana niemals dulden. Und am Ende vom Tag ist niemand übrig außer mir.
    Ein Restbestand.
    In Bruchstücken.
    Aus der Zusammenfassung gekürzt.
     
    Wenn ich früh genug Feierabend mache, gehe ich auf dem Rückweg manchmal meine Eltern besuchen. Ich muss dabei höllisch aufpassen, dass ich die richtige Maske trage und mich nicht verplappere, wenn sie mich fragen, was ich in letzter Zeit so getrieben hätte.
    Denn ich darf nicht verraten, mit wem ich es treibe.
    Und mit wie vielen.
    Und warum.
    Hin und wieder esse ich auch gemeinsam mit Lady oder Chase zu Abend. Ich bemühe mich. Ich lächele. Ich esse sieben Bohnen, drei Gabeln Reis und zwei Zentimeter Lachs.
    Chase schüttelt müde seinen Kopf.
    Und Lady rollt ihre hübschen Augen.
    Ich schiebe meinen Teller beiseite und blende mich aus. Es ist immer einfacher, alles falsch zu machen.
    Anstatt etwas zu essen.

5
    D ie meisten Frauen im Männermanagement verraten niemandem ihr nacktes Geheimnis. Aber ich bin ziemlich schlecht darin, meine Freunde zu belügen. Ich kann zwar schweigen, bis die Stille zerbricht, und meine Wunden mit Notlügen zupflastern, aber abgesehen davon stehe ich zu meinen Sätzen.
    »Ich bin jetzt eine von diesen Frauen«, habe ich deshalb gleich nach der ersten Woche zu Chase gesagt, »eine von diesen Frauen, die du dir buchen kannst, um dich zu vergnügen.«
    Chase hat mich drei Minuten lang mit offenem Mund angestarrt, dann hat er gesagt: »Heilige Scheiße! Also ich buche mir ja nun wirklich

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